Homicide
fotografiert, sodass sich Kim oder Linda oder eine andere Sekretärin in der Abteilung Gewaltverbrechen die Hochglanzbilder ansehen können und sagen, dass Landsman angezogen doch irgendwie besser ausgesehen habe. Wir werden nicht zerteilt und in Scheiben geschnitten, man wird bei uns keine Proben entnehmen, nur damit ein Staatsdiener auf von der Regierung gestelltem Papier vermerkt, dass unser Herz leicht vergrößert war und unser Magen-Darm-Trakt keine besondere Auffälligkeiten aufwies.
»Tisch für eine Person«, sagt ein Assistent, während er seine Leiche an einen freien Platz im Obduktionssaal schiebt. Ein alter Scherz, aber er ist eben auch lebendig und daher ab und zu zu einem alten Witzchen berechtigt.
Dasselbe gilt für Garvey, der seinen Kommentar zu einer ziemlichgut gebauten männlichen Leiche abgibt: »Du meine Güte, das Ding möchte ich nicht wütend erlebt haben.«
Oder für Roger Nolan, dem auffällt, dass hier eine gewisse rassistische Willkür herrscht: »He!, Doc, wie kommt’s, dass die Weißen gleich einen Tisch kriegen und die Schwarzen alle draußen im Flur warten müssen?«
»Ich glaube«, sinniert ein Assistent, »das ist so eine von den Gelegenheiten, bei denen die Schwarzen nichts dagegen haben, wenn die Weißen zuerst dran sind.«
Nur ganz selten fällt die Maske, und die Lebenden sind gezwungen, den Toten wirklich zu begegnen. So ging es McAllister vor fünf Jahren, als die Leiche von Marty Ward vom Drogendezernat auf dem Metalltisch lag. Er war an der Drogenfront in der Frederick Street getötet worden, als ein ganz banaler Drogenverkauf schieflief. Ward war damals Gary Childs Partner und einer der beliebtesten Detectives im fünften Stock gewesen. Für die Autopsie war das Los auf McAllister gefallen, schließlich musste es jemand aus seiner Einheit machen, und die anderen Detectives hatten Ward nähergestanden. Natürlich hatte all das die Sache nicht leichter gemacht.
Für die Detectives lautet die Faustregel: nicht nachdenken. Denn wenn man das macht, wenn man eher an den Menschen denkt als an die Beweise, dann ist die Depression garantiert. Diese Distanz zu wahren, muss man erst lernen, und für einen neuen Detective ist das ein fester Bestandteil des Übergangsritus. Neue Leute werden nach ihrer Bereitschaft beurteilt zuzusehen, wie eine Leiche auseinandergenommen wird, und gleich anschließend ins Penn-Restaurant auf der anderen Seit der Pratt Street zu gehen und das Tagesgericht mit drei Spiegeleiern und ein Bier zu sich zu nehmen.
»Die wahre Prüfung für einen Mann besteht darin«, sagt Donald Worden eines Morgens, während er die Speisekarte liest, »zu beweisen, dass er bereit ist, diese grässliche Schweinswurst anstelle von Speck zu bestellen.«
Selbst Terry McLarney, den man im Morddezernat am ehesten als Philosophen bezeichnen könnte, tut sich schwer, in der Autopsie etwas anderes als eine schwarze Komödie zu sehen. Wenn er an der Reihe ist, den schmalen Grat zwischen den Lebenden und den Toten zu betreten,ist seine Empathie für die Gestalten auf den Metalltischen im Großen und Ganzen auf eine anhaltende und völlig unwissenschaftliche Betrachtung der Lebern beschränkt.
»Ich sehe mir am liebsten die mitgenommenen Typen an, die, die aussehen, als hätten sie ein schweres Leben gehabt«, erklärt McLarney trocken. »Wenn sie die aufschneiden, und die Leber ist fest und grau, werde ich depressiv. Aber wenn sie schön rosa und locker ist, bin ich den ganzen Tag guter Laune.«
Einmal kam McLarney im Obduktionssaal in eine unangenehme Situation. Auf dem Arbeitsplan stand ein Fall, der mit der Erklärung versehen war, das Opfer habe keine Krankengeschichte, man wisse aber, dass der Mann jeden Tag Bier getrunken habe. »Als ich das gelesen habe, dachte ich mir, o Scheiße«, erzählte McLarney. »Da müsste ich mir eigentlich gleich einen leeren Tisch suchen, mich drauflegen und mir das Hemd aufknöpfen.«
Natürlich weiß McLarney, dass man nicht über alles mit einem Lachen hinweggehen kann. Die Linie zwischen Leben und Tod ist nicht so dick und gerade, dass ein Mann sich jeden Morgen daraufstellen und ungestraft Witze reißen kann, während der Mediziner mit Skalpell und Säge hantiert. In einem seltenen Augenblick versucht McLarney sogar einmal, ein paar tiefsinnige Worte zu finden.
»Ich weiß ja nicht, wie es den anderen geht«, tischt er eines Nachmittags als Platitüde auf, »aber immer wenn ich wegen einer Autopsie drüben bin, kann ich mir ganz
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