Homicide
Auftrag der Behörden von Maryland arbeiten. Sie sind derart überlastet, dass man unter Umständen sechs Monate auf das Ergebnis warten muss – eine lange Zeit, wenn es um einen möglicherweise entscheidenden Beweis geht.
Eine Autopsie dauert oft kaum eine Stunde, je nachdem, wie kompliziert der Fall und wie zahlreich die Wunden und Verletzungen sind. Am Ende legt ein Assistent die inneren Organe wieder in die Brust- und Bauchhöhle. Auch das Gehirn und die Schädeldecke kehren an ihren Platz zurück. Dann werden alle Schnitte vernäht, und die Leichewird erneut im Kühlraum gelagert, bis der Leichenwagen des Bestattungsunternehmens kommt. Sämtliches Beweismaterial – Blutproben, Abstriche, Fingernagelabschnitte, Kugeln und Kugelbruchstücke – wird nun gekennzeichnet und für den Detective in einen Beutel gesteckt, der es der Beweismittelkontrolle vorlegen oder in die Ballistik schicken wird, sodass es sich stets in Obhut befindet, bis es in der Asservatenkammer seinen Platz findet.
Gerade wegen seiner Effizienz verliert der ganze Vorgang mehr und mehr seine Aura des Außergewöhnlichen. Dennoch gibt es etwas, was selbst für erfahrene Detectives nichts von seiner emotionalen Wirkung verliert, und das ist der Obduktionssaal in der Gesamtsicht, eine Art Bahnhof der Leblosigkeit, mit menschlichen Leichen in den verschiedensten Zuständen der Demontage. An einem hektischen Sonntagmorgen warten im Flur vor der Autopsie acht oder neun Metallbahren, dazu kommt ein Dutzend Leichen, die bereits im Kühlraum abgelegt wurden. Hier inmitten all der Ermordeten und Verkehrstoten, inmitten der Ertrunkenen und Verbrannten, der Selbstmörder, all jener, die durch einen Stromschlag, eine Überdosis oder einen Schlaganfall ums Leben kamen, zwischen all den Toten, die sich über Nacht aufgestaut haben, fühlt sich auch der abgebrühteste Cop wie erschlagen. Weiß und schwarz, männlich und weiblich, alt und jung, alles kommt in die Penn Street unter dem einzigen gemeinsamen Nenner an, dass ihr Tod, der sie innerhalb der Grenzen des guten alten Maryland ereilte, offiziell als ungeklärt gilt. Mehr als jedes andere Bild erinnert das Wochenendtableau in dem gefliesten Raum einen Mordermittler daran, dass er im Großhandel der Branche Tod tätig ist.
Jeder Besuch im Obduktionssaal führt einem auch wieder vor Augen, dass ein Detective unbedingt einen psychischen Puffer zwischen Leben und Tod braucht, zwischen den horizontalen Gestalten auf den Leichentischen und denen, die sich aufrecht zwischen all dem schimmernden Metall bewegen. Die Strategie der Detectives ist eine ganz einfache und schlagkräftige: Wir leben, ihr nicht.
Es ist eine in sich geschlossene Philosophie, eine Religion mit eigenen Riten und Ritualen. Ja, wir wandeln zwar durch das Tal der Todesschatten, aber wir atmen und lachen und nippen an unseren Styroporbechern, während ihr nackt daliegt, jedes bisschen Lebens entleert. Wirtragen Blau und Braun und diskutieren mit dem Assistenten das Spiel der Orioles gestern Abend – die Birds brauchen dringend noch einen Batter der punktet, da sind wir uns einig. Eure Klamotten sind zerrissen und blutgetränkt, und ihr habt zu nichts eine Meinung, was eigentlich auch ganz erfrischend ist. Wir überlegen, ob wir uns während der Dienstzeit ein zweites Frühstück gönnen; euch untersuchen sie gerade den Mageninhalt.
Schon allein aufgrund dieser Logik sind wir zu einer gewissen Überheblichkeit berechtigt, zu ein wenig Distanz, auch in den engen Grenzen des Obduktionssaals. Wir haben das Recht, mit gespieltem Selbstbewusstsein, in trügerischer Sicherheit zwischen den Toten umherzugehen und uns selbst zu versichern, dass uns eine Kluft von ihnen trennt, die tiefer nicht sein könnte. Wir machen uns nicht lustig über die körperliche Hülle, hingestreckt auf der fahrbaren Metallpritsche; aber wir werden diese Leichen auch nicht vermenschlichen, werden bei ihrem Anblick nicht ernst und feierlich und uns unserer Sterblichkeit bewusst. Wir können auch an diesem Ort lachen und Witze machen und als Zeugen auftreten, aber nur, weil wir ewig leben, und wenn nicht, wird es uns wenigstens gelingen, dieses irdische Jammertal nicht als ungeklärter Todesfall im Staate Maryland zu verlassen. Wir wiegen uns in der Illusion, lediglich mit faltiger Haut und in einem weichen Bett zu sterben, mit einem unterzeichneten Totenschein von einem staatlich anerkannten Mediziner. Wir werden nicht in Plastik gehüllt, gewogen und von oben
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