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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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die genaue Lage der Blutergüsse und Prellungen, jeder sichtbaren Verletzung. Sie vermerkt alle auf dem obersten Blatt ihres Klemmbretts, auf dem bereits die Umrisse eines liegenden weiblichen Körpers vorgezeichnet sind. Sorgfältig untersucht sie die Hände nach Spuren, schabt die Fingernägel ab, kann aber nichts entdecken, was auf einen Kampf des Opfers gegen einen Angreifer hinweist. Den Schienbeinen und Schenkeln widmet sie besondere Aufmerksamkeit, sucht nach verräterischen Prellungen von einer Stoßstange, die zeigen würden, dass sie stehend angefahren und dann überrollt wurde. Auch hier keine Spur.
    Worden deutet auf die blauen Flecken an beiden Armen, die die Form von Fingerabdrücken haben. »Könnte vorher gepackt worden sein, oder?«, fragt er.
    Goodin schüttelt den Kopf. »Nein«, sagt sie, »das sind eher Quetschungen, die sie sich zugezogen hat, als das Fahrzeug sie überrollte.«
    Worden erwähnt die Ohrringe, die sie zusammen mit kleinen Haarbüscheln neben ihrem Kopf gefunden hatten. Ob sie ihr vielleicht von einem wütenden Angreifer vorher herausgerissen wurden?
    »Wahrscheinlicher ist, dass das passiert ist, als der Wagen ihren Kopf überrollte.«
    Und die zerfetzten Shorts? Der zerfetzte Slip? Nein, sagt Goodin und hält die beiden Kleidungsstücke gegeneinander, um ihm zu zeigen, dass beide an derselben Seite zerrissen sind, und zwar an einer Stelle,die sich als die schwächste erwies, als die Räder über die junge Frau rumpelten.
    »Könnten die Reifen gewesen sein.«
    Worden seufzt, tritt beiseite und sieht Brown an. Beiden ist klar, worauf das Ganze hinausläuft. Sie können die gute Frau genauso gut allein arbeiten lassen und sich ins Penn Restaurant zurückziehen.
    »Okay«, sagt Worden, »wir sind drüben und in etwa einer halben Stunde zurück.«
    »Gönnen Sie sich ruhig eine ganze Stunde.«
    Worden nickt.
    Das von einer griechischen Familie geführte Penn Restaurant ist hauptsächlich ein Mittagslokal und lebt vor allem von dem Krankenhauskomplex auf der anderen Straßenseite. Es ist ganz in Blau und Weiß gehalten, schwer resopallastig und mit der erforderlichen Zahl von Wandgemälden ausgeschmückt, die die Akropolis und die ägäische Küste zeigen. Das Gyros ist hervorragend, das Frühstück akzeptabel und das Bier kalt. Brown bestellt das Steak mit Spiegelei von der Tageskarte, Worden ein Bier.
    »Wie möchten Sie das Steak?«, fragt die Kellnerin.
    »Er möchte es blutig«, sagt Worden mit einem Grinsen.
    Brown sieht ihn an.
    »Komm schon, David, nimm’s roh und zeig uns, dass es dir nichts ausmacht.«
    »Medium«, sagt Brown.
    Worden lächelt, und die Kellnerin kehrt in die Küche zurück. Brown mustert den älteren Detective. »Was denkst du?«
    »Ich möchte wetten, dass sie keinen Mord draus macht«, sagt Worden.
    »Nicht, nachdem du ihr das angetan hast«, sagt Brown trocken. »Du hast sie für uns alle verdorben.«
    »Ja, aber …«
    Sie essen und trinken schweigend. Erst als Brown mit seinem Steak fertig ist, wendet er sich erneut Worden zu.
    »Weißt du, was ich machen müsste?«, sagt er. »Ich müsste mit ihr ausgehen und ihr den Tatort zeigen.«
    Worden nickt.
    »Glaubst du, dass das was bringen würde?«
    Worden zuckt die Achseln.
    »Ich weiß, dass es ein Mord ist, Donald.«
    Brown trinkt den letzten Schluck Kaffee und drückt seine Zigarette aus. Im Mai war er schon bei ein paar Zigaretten pro Tag gewesen, genau, wie es der Plan des Johns Hopkins Hospital vorsah. Und wenn er jetzt hustete, klang es, als wäre ein Löffel in einen Müllzerkleinerer geraten.
    »Fertig?«
    »Yep.«
    Sie überqueren die Straße und gehen die Rampe hinunter zum Lieferanteneingang. Dabei kommen sie an der schweren Eisentür vorbei, die zu dem Raum für bereits in Verwesung übergegangene Leichen führt. Dort werden die wirklich scheußlichen Fälle untersucht, getrennt von den anderen, um den Aufenthalt in der Penn Street halbwegs erträglich zu halten. Selbst am Liefereingang umweht einen noch ein Hauch des unglaublichen Gestanks.
    Als die beiden den Obduktionssaal betreten, beendet Julia Goodin gerade ihre Autopsie. Wie erwartet, erklärt sie den Detectives, dass nichts an der Leiche eindeutig auf Mord hinweise. Besonders ins Gewicht falle die Tatsache, sagt sie, dass es keine sichtbaren Prellungen an den Beinen gebe. Aller Wahrscheinlichkeit nach, erklärt sie, habe die Frau bereits auf dem Platz gelegen, als sie überfahren wurde. Die toxikologischen Untersuchungen werden noch

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