Homicide
Sortierung sind mit 64 der ursprünglich 200 Beschuldigten also schon beinahe 30 Prozent ausgeschieden, und das, bevor auch nur ein einziger Fall vor Gericht gekommen ist. Verbleiben 136 Männer und Frauen:
– Einundachtzig bekennen sich vor Prozess schuldig und handeln einen Deal aus. (Elf plädieren auf vorsätzlichen Mord, 35 auf Mord mit bedingtem Vorsatz, 32 auf Totschlag und drei auf weniger schwere Tatbestände.)
– Fünfundfünfzig riskieren einen Prozess vor einem Richter oder vor Geschworenen. (Von diesen werden 25 Beschuldigte von den Geschworenen freigesprochen. Von den verbleibenden 30 Beschuldigten erhalten 20 einen Schuldspruch für vorsätzlichen Mord, sechs für Mord mit bedingtem Vorsatz und vier für Totschlag.)
Addiert man die 30 Verurteilungen vor Gericht zu den 81 Schuldbekenntnissen, dann ergibt sich als Abschreckungspotential für einen Mörder in Baltimore: 111 Bürger wurden wegen eines Tötungsdelikts verurteilt.
Legt man die Zahlen des laufenden Jahrs zugrunde, dann liegt die Wahrscheinlichkeit, für ein Tötungsdelikt auch wirklich verurteilt zu werden, bei 60 Prozent – wohlgemerkt nur, wenn man überhaupt ins Visier der Strafverfolgungsbehörden geraten ist. Bezieht man die ungelösten Mordfälle ein, also jene, in denen kein Täter dingfest gemacht werden kann, dann liegt die Chance, in Baltimore nach einer Mordtat geschnappt und verurteilt zu werden, bei knapp über 40 Prozent.
Aber das heißt noch lange nicht, dass diese Minderheit von Pechvögeln dann auch zu einer Strafe verurteilt wird, die der Schwere ihres Verbrechens entspricht. Von den 111 in diesem Jahr wegen Tötungsdelikten schuldig gesprochenen Männern und Frauen werden 22 – also 20 Prozent – zu weniger als fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Weitere 16 Beschuldigte – 14 Prozent – erhalten Gefängnisstrafen von weniger als zehn Jahren. Hinzu kommt, dass die Bewährungsrichtlinien von Maryland in der Regel dafür sorgen, dass Täter oft nur ein Drittel ihrer Strafzeit verbüßen, was dazu führt, dass vermutlich nicht einmal 30 Prozent der Täter, die das Morddezernat im Jahr 1988 zur Strecke gebracht hat, nach drei Jahren noch hinter Gefängnismauern sitzen werden.
Die Staatsanwälte und Detectives kennen die Statistik. Sie wissen, dass auch in ihren besten Fällen – also jenen, die ein Staatsanwalt dann auch tatsächlich den Geschworenen vorlegt – ihre Erfolgschancen im Verhältnis von drei zu fünf stehen. Daher werden alle Grenzfälle – etwa wenn möglicherweise doch Selbstverteidigung im Spiel war, wenn die Zeugen unglaubwürdig und die Sachbeweise schwach sind – alsbald fallen gelassen, indem das Verfahren ganz eingestellt oder dem Angeklagten für ein Schuldbekenntnis ein günstiger Deal angeboten wird.
Doch nicht jeder Fall, in dem es zu einem Deal kommt, ist auch ein schwacher Fall. Gerade in Baltimore kommt es öfter vor, dass auch bei einigermaßen guter Beweislage eine Absprache gesucht wird – bei Fällen, mit denen sich ein Beschuldigter und sein Anwalt in den Vororten von Anne Arundel und Howard oder Baltimore County nie in einen Prozess wagen würden. Denn die Staatsanwälte der Stadt wissen aus Erfahrung, dass viele dieser Gerichtsverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem Freispruch enden werden.
Worin der Unterschied besteht, sieht man an der Regel Nummer neun.
Die Logik, mit der in Baltimore die Geschworenen zu Werke gehen, gehört zu den geheimnisvollsten Vorgängen unseres Universums. Dieser eine ist unschuldig, weil er so höflich auftrat und sich im Zeugenstand so gut auszudrücken wusste, jener dort, weil sich auf der Waffe keine Fingerabdrücke fanden, die die Aussagen der vier Zeugen bestätigt hätten. Und ein anderer stellt eindrucksvoll dar, wie man ihm das Geständnis mit Schlägen abgepresst hat. Wir wissen doch alle, dass kein Mensch ein Verbrechen zugibt, wenn er nicht geschlagen wird, oder?
Einmal kamen Geschworene in Baltimore zu dem Schluss, einen Beschuldigten vom Mordvorwurf freizusprechen, befanden ihn jedoch der Körperverletzung mit Tötungsabsicht für schuldig. Sie glaubten den Aussagen eines Augenzeugen, der gesehen haben wollte, wie der Angeklagte auf einer gut beleuchteten Straße von hinten auf das Opfer einstach und dann wegrannte. Aber sie glaubten auch dem Rechtsmediziner, der erklärte, von den zahlreichen Stichwunden des Opfers sei jene die tödliche gewesen, die es von vorne in die Brust erhalten hatte. Man könne nicht mit Sicherheit
Weitere Kostenlose Bücher