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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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ermittelt nur ein einsamer Mann draußen in den Straßen von Baltimore. Er hat alle Zeit der Welt und alle Freiheiten, seinen Mordfall zu lösen. Und wenn er es nicht schafft, kann er sich einen Strick nehmen.
    Bleibt abzuwarten, worauf es hinausläuft.
    Es ist ein schönes Gerichtsgebäude, ein beeindruckender klassizistischer Bau. Die Bronzetüren, der italienische Marmor, das dunkle Holz und die mit Blattgold verzierten Decken – das Clarence M. Mitchell Jr. Courthouse an der North Calvert Street ist ein architektonisches Juwel, so elegant und prächtig wie alle Gebäude, die in Baltimore je gebaut wurden.
    Wenn die Gerechtigkeit vom Stil und der Größe des zu ihren Ehren errichteten Gebäudes abhinge, bräuchte es den Detectives von Baltimore um sie nicht bange zu sein. Wenn glatter Stein und handgeschnitzte Vertäfelung Garanten verdienter Strafe wären, das Mitchell Courthouse und sein Schwesterbau auf der anderen Straßenseite – das alte Postgebäude, das nun als Courthouse East ebenfalls als Gerichtsgebäude dient – wäre das Allerheiligste jedes Gesetzeshüters von Baltimore.
    Die Gründungsväter der Stadt haben an nichts gespart, als sie diese beiden prächtigen Gebäude im Herzen der Innenstadt errichteten, und ihre Nachfolger in jüngerer Zeit sind nicht weniger großzügig in ihren ständigen Bemühungen, die Schönheit dieser beiden Bauten zu erneuern und zu bewahren. Von den Sälen, in denen die Anklage verlesen wird, bis zu den Sitzungsräumen der Geschworenen, von der Eingangshalle bis zu den Fluren im hinteren Teil ist das gesamte Gebäude darauf ausgelegt, Generationen von Gesetzeshütern und Juristen ein Gefühl von Erhabenheit einzuflößen. Ob er nun die restaurierte Säulenhalle des Postgebäudes durchschreitet oder den getäfelten Palast von Judge Hammerman, dem Obersten Richter von Baltimore, betritt, ein Detective kann sich stets erhobenen Hauptes sagen, dass er sich nun an dem Ort befindet, an dem die Gesellschaft dem Einzelnen zumisst, was er ihr schuldig geblieben ist. Hier wird Gerechtigkeit geübt, hier wird all die harte, schmutzige Arbeit, die sie im verfaulten Herzen dieser Stadt leisten, aufs Eleganteste in einen klaren und würdevollen Schuldspruch verwandelt. Eine Jury von zwölf respektablen, gewissenhaften Männern und Frauen wird sich einmütig erheben und ein Urteil fällen, auf dass der Bösewicht durch das Gesetz der guten und beherzten Menschen gerichtet werde.
    Wie kommt es da bloß, dass die Detectives von Baltimore ihr Gerichtsgebäude heutzutage alle mit gesenktem Kopf betreten, die Marke routiniert und gelangweilt für den Wachmann am Metalldetektor gezückt? Weshalb eilen diese Detectives mit so schweren Schritten zu den Aufzügen, ohne von all der Schönheit um sie herum Notiz zu nehmen? Wie kann es sein, dass sie ihre Zigaretten mit solcher Gleichgültigkeit in die Aschenbecher drücken und dann an die Tür des Anklägers klopfen, als wäre es das Tor zum Fegefeuer? Wie ist es zu erklären, dass einDetective das Resultat all seines Fleißes und seiner Bemühungen zu diesem seinem endgültigen Bestimmungsort bringt und dabei den Ausdruck völliger Resignation im Gesicht trägt?
    Nun, vielleicht, weil er sich die Nacht bis zum Morgengrauen mit zwei neuen Schießereien und einer Messerstecherei um die Ohren geschlagen hat. Höchstwahrscheinlich war der Detective, der an diesem Nachmittag bei Richterin Bothe als Zeuge aussagen soll, noch damit beschäftigt, seine Papiere von der Nachtschicht fertig zu machen, als die Tagschicht zur Frühbesprechung antrat. Anschließend hat er vermutlich vier Tassen schwarzen Kaffee hinuntergespült und einen Egg McMuffin dazu gegessen. Nun schleppt er wahrscheinlich Papiertütchen mit Beweismitteln vom Labor der Spurensicherung zum Kabuff irgendeines Anwalts im zweiten Stock, wo man ihm sagen wird, dass sein bester Zeuge noch nicht aufgetaucht ist und auch nicht auf Anrufe reagiert. Neben all diesen profanen Gedanken schwirrt dem Detective – sofern er sein Handwerk versteht – noch etwas anderes im Kopf herum als hehre Visionen vom Sieg der Gerechtigkeit, wenn er die Arena der Justiz betritt. Es ist nicht der Triumph von Justitia, die einen erfahrenen Detective in seinem tiefsten Innern bewegt, sondern die Regel Nummer Neun des Handbuchs der Polizeiarbeit, die da lautet:
    9a: Für die Geschworenen ist jeder Zweifel begründet.
    9b: Je besser der Fall steht, desto schlechter die Geschworenen.
    Die Zusatzregel lautet:
    9c: Es

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