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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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Fingerabdrücke gefunden werden konnten, regelmäßig Fingerabdruckexperten in den Zeugenstand:
    Wenn Sie bitte den Geschworenen erklären würden, wie oft Fingerabdrücke am Tatort gefunden werden und wie oft nicht. Schildern Sie doch bitte einmal, wieso viele Menschen aufgrund biochemischer Vorgänge zum Zeitpunkt der Tat keine verwertbaren Fingerabdrücke hinterlassen. Beschreiben Sie bitte, wie Fingerabdrücke getilgt oder verwischt werden können. Erklären Sie bitte, welchen Einfluss die Witterungsbedingungen auf Fingerabdrücke haben. Sagen Sie uns, wie selten man einen Fingerabdruck vom Heft eines Messers oder dem Griff einer Schusswaffe abnehmen kann.
    Auf ähnlich verlorenem Posten kämpfen die Detectives im Zeugenstand gegen die letzten sechs Episoden von
L. A. Law
und dergleichen Unterhaltungsfutter, Serien, in denen die Anwälte – selbstverständlich viel besser aussehende Anwälte, als sie gerade im Gerichtssaal sind – ständig Plastiktüten mit als »Beweisstück Nr. 1A« gekennzeichneten Pistolen und Messern vor den Geschworenen schwenken.
    Ein guter Verteidiger kann sich zehn Minuten mit entsetzter Mienedarüber auslassen, wenn ein Detective erklärt, dass Waffen die lästige Angewohnheit haben, vom Tatort zu verschwinden, bevor die Polizei eintrifft.
    Verstehe ich Sie richtig, Sie haben keine Tatwaffe gefunden? Die Geschworenen sollen also meinen Mandanten ohne Tatwaffe schuldig sprechen? Was soll das heißen, sie könnte überall sein? Wollen Sie uns etwa hier weismachen, dass der Angeklagte nach vollendetem Mord versucht hat, wegzulaufen? Und die Waffe mitgenommen hat? Etwa um sie zu verstecken? Oder um sie in der Curtis Bay von der Brücke zu werfen?
    Bei
Columbo
liegt die Tatwaffe immer in der Hausbar hinter dem Wermut. Haben Sie denn gar nicht hinter dem Wermut des Angeklagten nachgeschaut, Detective? Euer Ehren, ich beantrage, meinem Mandanten, diesem Stiefkind des Schicksals, unverzüglich die Handschellen abzunehmen, damit er nach Hause in den Schoß seiner liebenden Familie zurückkehren kann.
    Zumindest nach Ansicht der Staatsanwälte und Detectives von Baltimore hat das Fernsehen die Vorstellung des nachdenklichen und abwägenden Geschworenen gründlich zerstört, sie mit Geschichten erstickt, aus denen jede Zweideutigkeit gestrichen wurde und in denen stets alle Fragen beantwortet werden. So kommt es, dass jene, die in Baltimore über Schuld und Unschuld von Mördern befinden, längst nicht mehr die zwölf Geschworenen zum Vorbild haben, die in Hemdsärmeln in einem stickig heißen Beratungszimmer über die Stichhaltigkeit von Beweisen debattieren, wie sie uns in Norman Rockwells Gemälde oder Sidney Lumets Film eindrücklich vor Augen geführt wurden. Im wirklichen Leben hat man es eher mit einer Versammlung von zwölf Dummköpfen zu tun, die eine Weile darüber plaudern, was für ein netter, stiller junger Mann der Angeklagte doch ist, um sich alsbald über den Schlips des Staatsanwalts lustig zu machen. Verteidiger, deren Mandanten davon profitieren, tun solche Kritik gerne als Missgunst der Verlierer ab. Doch eigentlich reichen die Zweifel erfahrener Strafverfolger und Detectives am Geschworenensystem viel tiefer. Sie sind nicht der Meinung, dass der Staat jeden Mordprozess gewinnen müsse, das ist nicht der Sinn des Systems. Aber soll man wirklich glauben, dass 45 Prozent aller Personen, die wegen eines Tötungsdelikts vorGericht stehen – der letzten Etappe auf dem langen, gewundenen Weg des Justizapparats – unschuldig sind?
    Die Folge davon ist, dass die Staatsanwälte von Baltimore Geschworenenprozesse scheuen wie der Teufel das Weihwasser und lieber ein Schuldbekenntnis zu einem schwächeren Tatvorwurf akzeptieren oder den Fall ganz fallen lassen, bevor die Stadt Zeit und Geld für einen Fall aufwendet, bei dem der Angeklagte zwar eindeutig schuldig ist, gegen ihn aber keine unerschütterlichen Beweise vorliegen. Natürlich weiß auch ein fähiger Anwalt oder Pflichtverteidiger ganz genau, dass ein Staatsanwalt in den seltensten Fällen einen Geschworenenprozess will, und das nutzt er weidlich aus, um für seinen Mandanten ein vorteilhaftes Abkommen zu erzielen.
    Für die Detectives ist die Entscheidung, einen strafmindernden Deal zu schließen oder den Fall ganz fallen zu lassen, stets der Punkt, an dem ihre Hassliebe zur Staatsanwaltschaft in kalte Wut umschlägt. Stimmt schon, denkt der Detective, diese Leute stehen auf unserer Seite. Richtig, sie wollen genau wie wir

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