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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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die Bösewichte hinter Gitter bringen und bekommen dafür nur halb so viel Geld, wie sie draußen in der Wirtschaft verdienen könnten. Klar, sie kämpfen genauso für die Gerechtigkeit wie wir. Doch mit diesen Gemeinsamkeiten ist es zu Ende, wenn ein junger Staatsanwalt, der vor zwei Jahren noch die Bank in der University of Baltimore School of Law gedrückt hat, einen Drogenmord verpatzt, in dem drei Wochen Arbeit stecken. Wenn so etwas passiert, kann einem Detective schon mal der Kragen platzen: Da habe ich mir den Arsch aufgerissen, um drei unwillige Zeugen vor die Grand Jury zu schleifen, und jetzt das? Nur damit dieser Volltrottel in Nadelstreifen und Angeberschlips jetzt das Verfahren aussetzt? Verdammt, er hatte noch nicht mal den Mumm, zum Hörer zu greifen und mich anzurufen, geschweige denn nachzufragen, wie denn der Fall gerettet werden könnte.
    Na schön, es gibt immer ein paar schwache Fälle, um die es nicht schade ist. Andere sehen ganz ordentlich aus, bis sie auf einmal in sich zusammenfallen, weil die Zeugen von ihren Aussagen abrücken. Es kann immer was schiefgehen, das weiß jeder Detective. Aber er glaubt auch, dass viel zu viele Grenzfälle – und auch ein paar solide – durch die Maschen des Systems fallen, besonders dann, wenn die Staatsanwälte unerfahren sind.
    Ein guter Detective hat für vieles Verständnis und akzeptiert manches als unvermeidlich. Die Staatsanwaltschaft von Baltimore ist wie die vieler anderer Städte chronisch unterbesetzt und unterfinanziert. Ihre Prozessabteilung besteht aus einem Kern kompetenter und erfahrener Juristen, die von einer größeren Zahl Neulinge unterstützt werden – jüngere Anwälte, die nach ein paar Jahren an einem Bezirksgericht den Sprung zur Verfolgung von Kapitalverbrechen schaffen. Einige machen vor Gericht eine gute Figur, andere schlagen sich mittelprächtig, und ein paar muss man im Gerichtssaal wirklich fürchten. Jeder Detective hofft auf einen kompetenten Staatsanwalt, aber er weiß auch, dass die Fälle nach der Bedeutung verteilt werden. Mit den spektakulärsten Tötungsdelikten werden die erfahrenen Staatsanwälte betraut – und die spektakulären Fälle sind jene, in denen es wahre Opfer gibt, und solche, in denen dem Beschuldigtem mehrere Taten zur Last gelegt werden. Die Hoffnung ist stets, dass die Staatsanwaltschaft sich wenigstens in den wichtigsten Fällen gegen die ausgefuchsten Strafverteidiger behaupten kann, die sich um die Mordverfahren reißen, sei es auf Honorarbasis oder als bestellte Pflichtverteidiger.
    Jeder Detective versteht auch, warum es in mindestens zwei Drittel der aussichtsreichen Fälle unvermeidlich zu einem Arrangement kommt. Solche Deals zwischen Verteidigern und Staatsanwälten werden zwar in der Öffentlichkeit weithin als schmutzige Geschäfte betrachtet, doch wer am Gericht seinen Lebensunterhalt verdient, weiß nur zu gut, dass sie in der Natur der Sache liegen. Ohne solche Deals würde das ganze System zusammenbrechen. Die Fälle würden sich auf dem Weg zum Gerichtssaal stauen wie die Regionalflieger vor den Startbahnen in Atlanta. Selbst mit dem gegenwärtigen Verhältnis von Deals zu Prozessen beträgt die Zeit, die zwischen einer Anklageerhebung und einem Prozess vergeht, im Schnitt sechs bis neun Monate.
    Allerdings gibt es für einen Detective große Unterschiede zwischen einem guten und einem schlechten Deal. Dreißig Jahre für einen Mord mit bedingtem Vorsatz sind völlig in Ordnung, außer in wirklich üblen Fällen, wie beispielsweise Kindesmissbrauch und Raubmord. Ist der Fall nicht ganz so eindeutig, sind bedingter Vorsatz und zwanzig Jahre durchaus akzeptabel, obwohl man dann nicht gerade von der eisernenFaust der Gerechtigkeit sprechen kann, wenn man bedenkt, dass der Bewährungsausschuss die meisten dieser Täter nach sieben bis zehn Jahren wieder in die Freiheit entlässt. Bei einem echten Totschlag – etwa einer Beziehungstat, begangen in Panik oder im Affekt – ist alles zwischen zwei und zehn Jahren angemessen. Allerdings kann es ein Detective nur schwer akzeptieren, wenn ein Staatsanwalt einen besonders niederträchtigen Mord als Tat mit bedingtem Vorsatz durchgehen lässt oder einen Mord zum Totschlag, einen Totschlag zur fahrlässigen Tötung herabstuft. Doch selbst wenn das geschieht, halten die meisten Detectives den Mund, sofern sie nicht direkt gefragt werden, und Staatsanwälte stellen ihnen normalerweise keine Fragen. Im Morddezernat hat man sich damit arrangiert:

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