Homicide
enthält typischerweise auch Hinweise und Berichte über weitere Täter und Spuren, die in die Sackgasse geführt haben, und es gibt Richter, die es dem Verteidiger im Kreuzverhör erlauben, sich die Akte zu nehmen und darin auf die Suche zu gehen. Entdeckt dieser dort einen möglichen anderen Verdächtigen und hat er einen nachsichtigen Richter, kann er damit bei den Geschworenen viel erreichen.
Detective Mark Tomlin hat es sich daher zur Gewohnheit gemacht, seine Notizen für den Verhandlungstag auf der Rückseite eines Computerausdrucks mit dem Vorstrafenregister des Angeklagten zu schreiben. Einmal, als Tomlin im Zeugenstand war, wollte ein Verteidiger diese Notizen tatsächlich sehen. Er setzte schon zu einem Antrag an, sie als Beweismaterial zuzulassen, als er das Blatt umdrehte und sein Blick auf das Vorstrafenregister seines Mandanten fiel. Wortlos reichte er Tomlin das Blatt zurück.
Erfahrene Detectives wissen, welche Stärken und Schwächen ihre Fälle vor Gericht haben. Sie ahnen, was der Verteidiger sie fragen wird, und haben sich die Antwort darauf bereits zurechtgelegt. Das heißt nicht, dass sie das Gericht mit ihren Antworten täuschen wollen, sondern bloß, dass sie versuchen, keinen Schaden anzurichten. Weiß ein Verteidiger beispielsweise, dass der Zeuge seinen Mandanten bei einer Gegenüberstellung erkannt hat, aber nicht auf den Fotos, die man ihm am Tag zuvor gezeigt hatte, dann wird er mit großer Wahrscheinlichkeit die Sache auswalzen. Ein guter Detective sieht das voraus und wird in seine Antwort einfließen lassen, dass das Foto schon sechs Jahre alt war, der Angeklagte damals die Haare anders trug und überhaupt einen Schnurrbart hatte und was sonst noch alles, bevor ihm der Anwalt insWort fällt. Andererseits aber haben die Verteidiger inzwischen bereits Generationen von aalglatten, manipulativ argumentierenden Polizeizeugen erlebt und daraus unter anderem die Konsequenz gezogen, im Kreuzverhör nur Ja oder Nein als Antwort zu akzeptieren. In diesem Fall muss der Detective warten, bis ihn der Staatsanwalt befragt, um anzubringen, was er gern sagen möchte.
Ist einem Detective im Zeugenstand hingegen nicht ganz klar, worauf der Verteidiger mit seinen Fragen abzielt, fallen seine Antworten vorsichtig und nicht ganz so konkret aus, obwohl sie nicht wirklich unkorrekt werden. Ein routinierter Zeuge versteckt sich jedoch nicht unnötig hinter Pauschalisierungen und Allgemeinplätzen, weil er damit einem guten Anwalt nur Gelegenheit für Einwände gibt.
»Detective, sie sagen, dass nach der Verhaftung von Mr. Robinson die Zahl der Raubüberfälle im Norden und in Langwood zurückgegangen ist.«
»Ja, Sir.«
»Detective, darf ich Ihre Aufmerksamkeit auf diesen Polizeibericht lenken, datiert vom …«
Erfahrene Detectives beachten im Zeugenstand noch eine andere Regel: Sie lügen nicht. Jedenfalls tun es die guten nicht, und mit Sicherheit nie über etwas, das im Gerichtssaal widerlegt werden könnte. Ein Meineid kann das Ende einer Karriere bedeuten oder die Rente kosten, und wenn die Lüge groß und dumm genug ist, einen sogar ins Gefängnis bringen. Beweise zu manipulieren oder Verdächtigen und Zeugen falsche Aussagen unterzuschieben, birgt für einen Detective weit mehr Gefahren als Vorteile. Letztlich muss er sich fragen, wie viel es ihm bedeutet, ob ein mutmaßlicher Mörder auch wirklich im Gefängnis landet. Schließlich hat er es mit vierzehn solcher Typen im Jahr zu tun, im Verlauf seiner gesamten Dienstzeit mit ein paar Hundert. Da geht für ihn nicht die Welt unter, wenn er mal einen Fall verliert. Wenn auf einen Polisten geschossen wurde, wenn das Opfer jemand ist, den der Detective kannte, dann mag es vorkommen, dass er diese Regel ein wenig großzügiger auslegt. Aber nicht für einen Vorfall, der sich an einem Samstagabend im letzten Sommer beim 1900er-Block der Etting Street zugetragen hat.
Es gibt allerdings eine Ausnahme von der grundsätzlichen Ehrlichkeit des guten Polizeizeugen, und das ist der Punkt des hinreichenden Tatverdachts.
Beispielsweise empfinden es die Ermittler des Drogendezernats und der Sitte als ausgesprochen albern, auf die korrekten rechtlichen Vorraussetzungen für eine Durchsuchung oder Verhaftung zu warten. Da reicht es nicht, dass der Verdächtige sich zehn Minuten zu lange an einer bestimmten Ecke herumgedrückt hat. Nein, das Gesetz erfordert, dass der Officer, bevor er zur Verhaftung schreitet, beobachtet, dass der Angeklagte sich an einem
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