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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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Das letzte Wort hat immer der Staatsanwalt. Hauptsache, man hat seinen eigenen Job gemacht, wenn der Staatsanwalt seinen nicht macht – scheiß drauf. Trotzdem kann es vorkommen, dass einem Detective mal der Kragen platzt.
    Von Worden weiß man, dass er sich gelegentlich einen jungen Staatsanwalt vorknöpft, der einen Fall zu schnell sausen lässt oder zögert, eine eigentlich aussichtsreiche Sache vor Gericht zu bringen. Landsman bringt das auch fertig, und wenn man Edgerton die Möglichkeit gibt, erklärt er dem Staatsanwalt, wie er die Sache anpacken soll, und schreibt ihm auch noch das Schlussplädoyer. Garvey hingegen weigert sich bis heute, mit dem Staatsanwalt zu sprechen, der im Mordfall Myeisha Jenkins bedingten Vorsatz akzeptierte – ausgerechnet bei Myeisha, die gerade mal neun war, als die Mutter zusah, wie ihr Freund das Kind zu Tode prügelte und die Leiche am Rand des Baltimore-Washington Parkway entsorgte. Garvey erklärte dem Strafverfolger damals in deutlichen Worten, was er von ihm und seinem Deal hielt, und zwar in einem Ton, bei dem seinem Gegenüber die Erwiderungen im Hals stecken blieben.
    Wenn ihm an einem Fall wirklich liegt, kann ein Detective durchaus versuchen, seine Meinung anzubringen oder eine bestimmte Strategie vorzuschlagen. Echten Einfluss auf das juristische Verfahren hat er aber nicht. Auf dem Weg vom Tatort bis zur Verurteilung ist das Gerichtsgebäude der einzige Abschnitt, an dem der Detective nur passiv teilnimmt. Welche Rolle er dabei spielt, hängt von anderen ab. Die Aufgabe eines Detective ist es, als Zeuge aufzutreten und die Staatsanwälteso gut er kann zu unterstützen. Die Anklagevertreter wiederum zeigen für seine Dienste eine sehr unterschiedliche Wertschätzung. Einige Staatsanwälte holen sich bei den Ermittlern Rat zur Beweislage und zur Darstellung des Falls, bitten die erfahrenen Detectives, die schon mehr Verfahren durchgestanden haben als sie selbst, um ihre Meinung. Andere sehen in den Detectives kaum mehr als Handlanger und Laufburschen, deren Rolle darin besteht, zur rechten Zeit brauchbare Beweise und Zeugen heranzuschaffen.
    Die Detectives der Mordkommission haben schon allein deshalb wenig mit ihren eigenen Fällen bei Gericht zu tun, weil sie als Zeugen nicht an den Verhandlungen teilnehmen und die Aussagen der anderen Zeugen nicht hören dürfen. So verbringen die Detectives in Baltimore 90 Prozent ihrer Gerichtszeit auf den harten Holzbänken der Flure, tragen Plastiktüten mit Beweismaterial vom Gerichtssaal zum Büro des Staatsanwalts und zurück, jagen Zeugen hinterher, die in der Nachmittagssitzung aussagen sollen, aber nicht auftauchen wollen, oder sie albern mit den Sekretärinnen oben in der Abteilung Gewaltverbrechen herum. Bei Gericht ist ein Detective immer in einer Art Schwebezustand, es ist eine Zeit der Nichtexistenz, nur unterbrochen von dem kurzen Moment, in dem er seine Zeugenaussage macht.
    Der Zeugenstand ist die letzte Etappe des gesamten Verfahrens, wo die Erfahrung des Detective noch etwas zählt. In der Regel haben die Zeugenaussagen von normalen Bürgern, die vom Staatsanwalt vor ihrem Auftritt bestens instruiert und präpariert werden, den größten Einfluss. Doch in allen Fällen legt das Zeugnis des Detective, das sich auf den Tatort, das Aufspüren der Zeugen und die Aussagen des Angeklagten bezieht, die Grundlage für die Arbeit der Staatsanwälte. Die sind allerdings der Meinung, dass ein Detective durch seine Zeugenaussage kaum jemals einen Fall gewinnen, ihn aber durchaus ruinieren kann.
    Ein Detective, der etwas von seinem Geschäft versteht, liest sich noch einmal die Akte durch, bevor er die Hand zum Schwur hebt. Schließlich liegen zwischen der Verhaftung und dem Prozess sechs Monate, in denen er jede Menge neue Leichen gesehen hat. Im Jahr 1987 passierte es einem Detective – er ist inzwischen nicht mehr im Morddezernat –, dass er auf Bitten des Staatsanwalts zu einer ausführlichenSchilderung des Tatorts und der anschließenden Ermittlungen ansetzte. Nach einigen Sätzen bemerkte er, dass der Staatsanwalt Grimassen schnitt. Sogar der Angeklagte schien aufzuhorchen.
    »Ähm, halt«, rief der Detective, dem dämmerte, was er anrichtete. »Eurer Ehren, ich glaube, ich hatte gerade den falschen Mord im Kopf…«
    So etwas bläst ein geschickter Verteidiger gerne zum »Verfahrensfehler« auf.
    Viele Detectives nehmen die Akte mit in den Zeugenstand, was bei manchen Richtern nicht ungefährlich ist. Eine Akte

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