Homicide
aufzurufen.
»Beabsichtigen Sie, Sharon Henson als Zeugin der Verteidigung aufzurufen?«
»Ich weiß nicht«, antwortet Polansky. »Darauf möchte ich mich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht festlegen, Euer Ehren.«
»Denn wenn Sie das täten, wäre das Problem erledigt.«
»Sicher«, stimmt ihm der Verteidiger zu. »Es ist wohl wahrscheinlicher, dass ich sie nicht als Zeugin aufrufe.«
Und so verkündet Gordy seine Entscheidung: Sharon Henson, die offenbar lügt, um ihren Geliebten zu schützen, muss gegen ihn aussagen. Als sie nach der Mittagspause in den Zeugenstand tritt, beginnt für sie ein gut einstündiges Martyrium. Würde es nicht um die Freiheit eines Menschen gehen, würde nicht eine ganze Familie voll dunkler Rachegedanken im Zuschauerraum sitzen, man könnte das Theaterstück, das Henson ihrem Freund zuliebe aufführt, als Komödie bezeichnen. Sie tritt in einem schwarzsamtenen Abendkleid mit Pillbox-Hut und Pelzstola auf – allein ihre Erscheinung lässt sie wenig glaubwürdig wirken. In vollem Bewusstsein ihres großen Auftritts in diesem Drama legt sie den Eid ab und schlägt im Zeugenstand die Beine übereinander wie eine
Femme fatale
aus einem zweitklassigen
Film noir.
Sogar die Geschworenen beginnen zu kichern.
»Wie alt sind Sie, Ma’am?«, fragt Doan.
»Fünfundzwanzig.«
»Kennen Sie jemanden namens Robert Frazier?«
»Ja.«
»Sehen Sie diese Person heute hier im Gerichtssaal?«
»Ja.«
»Wenn Sie sie uns bitte zeigen würden.«
Sharon Henson deutet auf die Anklagebank und schickt ein kurzes Lächeln hinterher. Frazier blickt ungerührt zurück.
Doan schildert für die Geschworenen Sharon Hensons Beziehung zu Frazier und kommt alsbald auf die Mordnacht zusprechen, in der sie Gäste hatte. In ihren Aussagen gegenüber Garvey und der Grand Jury hatte Henson eingestanden, Alkohol und Drogen konsumiert zu haben, aber auch unmissverständlich zu Protokoll gegeben, Frazier habedie Party spät am Abend verlassen und sei nicht vor dem Morgen zurückgekehrt. Doch inzwischen will sie sich ganz anders an die Geschichte erinnern.
»Betrachten Sie sich nach wie vor als Mr. Fraziers Freundin?«, fragt Doan.
»Muss ich darauf wirklich antworten?«
»Ja«, sagt Gordy. »Bitte beantworten Sie die Frage.«
»Ja.«
»Und Sie haben Mr. Frazier in der Untersuchungshaft besucht, ist das richtig?«
»Ja, das habe ich.«
»Wie oft haben Sie ihn dort besucht?«
»Dreimal.«
Doan setzt nach. Er bittet Henson, die Geschenke aufzulisten, die sie von Frazier vor dem Mord zum Valentinstag bekommen hat. Dann wechselt er abrupt das Thema und kommt auf den 38er-Revolver zu sprechen, den Frazier ihr nach der Tat zur Aufbewahrung gegeben hatte, die Waffe, die Frazier vier Tage, bevor Garvey und Kincaid bei ihr zur Befragung auftauchten, wieder abholte.
»Und als er die Waffe abgeholt hat«, sagt Doan in völlig neutralem Ton, »hat er Ihnen da gesagt, wozu er sie braucht?«
»Ja.«
»Was hat er gesagt, Ma’am?«
»Die Polizei würde kommen und mir Fragen stellen. Er hätte ihnen erzählt, dass ich die Waffe für ihn aufhebe, aber er mich nicht darum gebeten hatte.«
»Und?«, fragt Doan, der von seinen Notizen aufblickt.
Sharon Henson funkelt den Staatsanwalt an, bevor sie antwortet. »Sie nicht der Polizei zu geben«, sagt sie und schaut entschuldigend zu ihrem Freund hinüber.
»Er sagte ihnen, dass die Polizei kommen würde, um nach der Waffe zu fragen. Und er wollte nicht, dass Sie die Waffe herausgeben?«, fragt Doan.
»So habe ich es in Erinnerung, ja.«
So weit, so gut. Doan kommt zu dem Abend, an dem sie Gäste hatte. Er fragt Sharon Henson nach den eingeladenen Personen und willwissen, was es zu essen gab, und als sie sagt, sie wisse das alles nicht mehr so genau, erinnert er sie daran, dass sie erst vor zehn Tagen in seinem Büro darüber gesprochen hatten.
»Haben Sie mir damals nicht gesagt, es hätte Speck und Käse, Kohl, Maiskolben, Hummer und Wein gegeben?«
»Ja«, sagte sie unbeeindruckt.
Doan geht zu den Ereignissen des Abends über: Wie Frazier kam und dann noch einmal wegfuhr, um den Hummer abzuholen, Dann fragt er, was ihr Freund an dem Abend trug.
»Wie war Mr. Frazier an diesem Abend gekleidet?«
»Beige.«
»Beige?«
»Beige«, wiederholt sie.
»Er hatte also eine beige Hose an?«
»Mhm.«
»Und ein beiges Hemd?«
»Mhm.«
»Trug er ein Sakko?«
»Einen Mantel«, sagt sie.
»Was für einen Mantel?«, fragt Doan.
»Beige«, sagt sie.
»Trug er sonst
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