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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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den Detective. »Das Blut hat nur so gespritzt.«
    »War sie denn so schlecht?«
    »Ein Witz! Die Jury hat sie ausgelacht«, sagt Doan, der seine Freude kaum zügeln kann. »Ehrlich, ich habe nichts von ihr übrig gelassen.«
    Der Rest ist ein Spaziergang. Wenn Sharon Henson an der Wahrheit festgehalten, wenn sie gegenüber dem Anklagevertreter einfach ihre Aussage vom März wiederholt hätte, wäre sie in dem gesamten Mosaik nur ein Steinchen gewesen. Sie hingegen musste sich darauf versteifen, ihrer eigenen Aussage zu widersprechen und lieferte damit den Geschworenen den lebenden Beweis, dass die Lage von Robert Frazier hoffnungslos ist.
    Am Montag beginnen die Zeugenaussagen noch einmal mit Richard Garvey, der Schritt für Schritt die Ermittlungen erläutert, die zu Fraziers Festnahme führten. Im Kreuzverhör gibt sich Polansky größte Mühe, die anfängliche Bereitschaft seines Mandanten zur Zusammenarbeit mit der Polizei herauszustreichen, der sich zudem ohne Anwesenheit eines Anwalts vernehmen ließ. An passender Stelle fragt Polansky nach den Stich- und Schusswunden, um anzudeuten, dass die Verwendung zweier Waffen auch für zwei Täter spricht.
    »Wie viele Jahre sind Sie schon bei der Polizei?«, fragt er Garvey.
    »Dreizehn.«
    »Und Sie haben in vielen, vielen Mordfällen ermittelt, entweder selbst oder …«
    »Das stimmt«, sagt Garvey.
    »Hatten Sie jemals einen Fall, in dem das Opfer sowohl durch Stich- als auch durch Schusswunden zu Tode kam und es trotzdem nur einen Täter gab?«, fragt Polansky.
    »Ja«, antwortet Garvey ruhig.
    »Wie viele? Was für Fälle? Sagen Sie uns, in welchem.«
    »Wir hatten im Fall Purnell Booker Anzeichen dafür, dass es nur einen Täter gab.«
    Geschieht dir recht, denkt Garvey. Aufgrund seiner kleinen unschuldigen Antwort können die Geschworenen, die bereits über die Existenz eines rätselhaften Vincent Booker nachgrübeln, sich nun überlegen, wohin in diesem Fall der zweite Booker gehört, der offenbar zumOpfer eines Mordes wurde. Polansky bittet um eine Unterredung an der Richterbank.
    »Ich weiß inzwischen nicht mehr, was ich machen soll. Vielleicht beantragen, dass der Prozess wegen Verfahrensmängeln eingestellt wird«, sagt er Gordy.
    Der Richter schüttelt lächelnd den Kopf. »Das werden Sie schön bleiben lassen. Schließlich haben Sie ihm die Frage selbst gestellt.«
    »Danach habe ich ihn doch gar nicht gefragt«, protestiert Polansky.
    »Es war Ihre Frage, die er beantwortet hat«, erwidert Gordy. »Was ist also ihr Antrag? Was soll ich tun? Warum sind Sie zu mir gekommen?«
    »Ich weiß nicht«, sagt Polansky, sichtlich verstört. »Ich frage mich, ob ich nicht die ganze Sache auf den Tisch packen sollte.«
    »Ich werde es schon verhindern, dass er weiter in diesem Wespennest herumstochert.«
    »Danke«, sagt Polansky, offenbar völlig aus dem Konzept geraten. »Ich werde also … ich stelle keinen Antrag.«
    Garveys zweite Aussage im Zeugenstand ist sorgfältig vorbereitet und bügelt seine Schlappe am ersten Verhandlungstag einigermaßen aus, hat aber keinen großen Einfluss mehr. Kaum weniger nebensächlich ist die Zeugenaussage von Robert Frazier am folgenden Tag, der den Geschworenen seine Version der Geschichte schildert und vor allem erklärt, dass er gar keinen Grund hatte, Charlene Lucas zu töten. Doch Fraziers Auftritt vor Gericht steht ganz im Schatten von Sharon Henson. Sie hat allem, was den Geschworenen nach ihr präsentiert wird, gewissermaßen ihren Stempel aufgedrückt. Hinzu kommt der starke Kontrast, in dem ihre Aussage zu jener der anderen wichtigen Zeugin des Falls steht: Romaine Jackson war jung, wirkte ängstlich, und es fiel ihr offenbar nicht leicht, Robert Frazier als den Mann zu identifizieren, den sie am Abend des Mordes zusammen mit Lena gesehen hatte; Sharon Henson hingegen wirkte kalt, bitter und arrogant, als sie im selben Zeugenstand ihre eigene Aussage widerrief.
    Genau diesen Vergleich zieht Doan in seinem Schlussplädoyer vor den Geschworenen. Rich Garvey, der nun als Zuschauer im Verhandlungssaal zugelassen ist, beobachtet, wie mehrere der Geschworenen zustimmend nicken, als Doan in lebhaften Farben das Bild der beiden Frauen zeichnet – die eine, die in aller Unschuld die Wahrheit erzählt,und die andere, die in unlauterer Absicht die Tatsachen verdreht. Noch einmal kommt er auf Hensons Zeugenaussage über die Kleidung ihres Freundes zurück. Besondere Aufmerksamkeit schenkt er einem kleinen Detail, einer

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