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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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Widerspruch ein.
    Je mehr der Detective über den Fish Man erfuhr, desto deutlicher konnte er ihn sich als Kindermörder vorstellen. Zwar gab es keinen direkten Hinweis in seiner Geschichte, nichts, worauf man mit dem Finger hätte deuten können, keinen Hinweis, dass der Mann gefährlich oder psychisch gestört war. Die Vergangenheit des Alten bestand aus kaum mehr als einer ziemlich banalen Aneinanderreihung gescheiterter Beziehungen zu Frauen. Der Detective hatte etliche Wochen damit zugebracht, Verwandte, ehemalige Freundinnen und die frühere Frau des Fish Man ausfindig zu machen und zu befragen – alle hatten sie bestätigt, dass er Schwierigkeiten mit Beziehungen zu Frauen hatte. Einige hatten sogar angedeutet, er habe eine Schwäche für jüngere Mädchen, aber etwas Konkretes wusste niemand zu sagen. Pellegrini hatte auch noch einmal die Freundinnen von Latonya befragt, dazu andere Kinder, die für den Fish Man gearbeitet hatten oder nach der Schule in seinen Laden gegangen waren. Gewiss, sie sagten dem Detective, dass der Fish Man gerne mal ein Auge riskierte. Er konnte seine Finger nicht bei sich behalten, sagten sie dem Detective, man musste aufpassen.
    Eine Frau konnte Pellegrini allerdings nicht auftreiben: jene, die der Fish Man in den 1950ern sexuell belästigt haben sollte. Pellegrini hatte sich die Berichte vom Mikrofilm kopiert und Seite für Seite gelesen, aber das Mädchen, damals ein Teenager, hatte nie vor Gericht ausgesagt, und das Verfahren war schließlich eingestellt worden. Pellegrini ließ nichts unversucht, um sie ausfindig zu machen, vom Telefonbuchbis zu verschiedenen Sozialeinrichtungen. Die Frau musste inzwischen Ende vierzig sein, und sofern sie überhaupt noch in Baltimore wohnte, dann vermutlich nicht unter ihrem Mädchennamen. Pellegrinis Suche nach ihr blieb erfolglos. Als letztes Mittel ließ sich Pellegrini sogar von einem lokalen Fernsehsender interviewen. So konnte er ihren Namen und ihre letzte bekannte Adresse zusammen mit einem Aufruf verbreiten, Informationen über sie der Polizei zu melden.
    Während der Sendung war Pellegrini darauf bedacht, weder die Beziehung der Frau zu dem Fall zu erläutern noch den Namen des Fish Man zu nennen. Aber er erwähnte gegenüber dem Moderator, dass es einen Tatverdächtigen gebe. Pellegrini begriff sogleich, was für eine Dummheit er damit begangen hatte, als sich der Moderator zur Kamera wandte und erklärte: »Das Morddezernat glaubt inzwischen zu wissen, wer Latonya Wallace ermordet hat …« Diesen kurzen Ausflug in die Öffentlichkeit büßte Pellegrini mit tagelangem Schreiben von erläuternden Berichten. Die Polizei sah sich sogar zu einer knappen Presseerklärung genötigt, die vermeldete, dass Detective Pellegrini zwar einem Tatverdacht in diesem Mordfall nachgehe, aber von anderen Ermittlern auch noch andere Spuren verfolgt wurden. Das Schlimmste an der Sache jedoch war, dass das verschollene Vergewaltigungsopfer nie auftauchte.
    Unter allem, was Pellegrini über seinen Tatverdächtigen Nummer eins ausgrub, stach eine Geschichte besonders heraus. Auch wenn es reiner Zufall sein mochte, so jagte es ihm doch einen Schauer über den Rücken. Er stieß darauf, als er ein ganzes Jahrzehnt unaufgeklärter Vermisstenmeldungen von Mädchen durchging. Im Februar hatten die Ermittler den Fall Latonya Wallace mit anderen offenen Kindermorden verglichen, aber erst vor Kurzem war Pellegrini die Idee gekommen, sich auch einmal die offenen Vermisstenfälle anzuschauen. In den Akten aus dem Jahr 1979 fand er den Fall eines neunjährigen Mädchens, das aus dem Haus seiner Eltern in der Montpelier Street verschwunden war und nie gefunden wurde. Bei Montpelier Street merkte Pellegrini auf: Erst vor Kurzem hatte er einen Mann befragt, dessen Familie früher gemeinsam mit dem Fish Man einen Lebensmittelladen betrieben hatte. Und diese Familie wohnte schon seit zwanzig Jahren in der Montpelier Street, wo sie der Fish Man oft besucht hatte.
    Die alte Vermisstenakte enthielt keine Fotos, also fuhr Pellegrini einige Tage später zum Redaktionsgebäude der
Baltimore Sun
und bat um die Erlaubnis, im dortigen Bildarchiv nachzuschauen. Die Zeitung hatte tatsächlich noch zwei Fotos des vermissten Kindes, zwei Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die der Schulfotograf gemacht hatte. Pellegrini wurde ganz anders, als er die Bilder betrachtete: Egal, aus welchem Blickwinkel, das Kind war eine Doppelgängerin von Latonya Wallace.
    Diese geradezu unheimliche

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