Homicide
Ähnlichkeit mochte ein Zufall sein, und vielleicht bestand auch gar keine Verbindung zwischen all diesen an sich unbedeutenden Details. Doch je länger sich Pellegrini mit der Vergangenheit des Fish Man beschäftigte, desto stärker reifte in ihm der Entschluss, ihn ein letztes Mal auf die Probe zu stellen. Schließlich hatte sich der Alte nicht die geringste Mühe gemacht, den Verdacht, der auf ihm lastete, zu entkräften. Pellegrini fand, er sei sich noch einen Versuch schuldig, den Mann doch noch zur Strecke zu bringen. Doch gerade als sich Pellegrini auf diese letzte Vernehmung vorbereitete, tauchte der Lacksplitter an der Strumpfhose des Mädchens auf. Er fühlt sich fast schon verspottet, dass sich ihm nun ein ganz anderer Verdächtiger und eine ganz andere Richtung der Ermittlungen zeigen.
Dieses Gefühl wird stärker, als Pellegrini aus Reservoir Hill zurückkehrt und die frischen Proben von der Hintertür der Nummer 716 ins Labor bringt. Wie erwartet kann Van Gelder ohne Mühe feststellen, dass sie mit dem in der Strumpfhose gefundenen Lacksplitter übereinstimmen. Auf einmal drängt Andrew den Fish Man in den Hintergrund.
Noch am selben Nachmittag ergibt ein kurzer Anruf bei Andrews früherer Frau, dass er immer noch beim Straßenbauamt beschäftigt ist. Als Pellegrini bei der Autowerkstatt in Fallsway eintrifft, beendet der Tatverdächtige gerade seine Schicht. Die Bitte, noch einmal zu einer Vernehmung aufs Präsidium zu kommen, nimmt Andrew sehr ungehalten, beinahe feindselig auf.
Nein, sagt er zu Pellegrini. Ich möchte einen Anwalt sprechen.
Noch in derselben Woche ist der Detective erneut mit einem Labortechniker in Reservoir Hill und durchsucht drei Stunden lang das Kellerzimmer, in dem Andrew zwischen seiner Bar und seinem Fernseher den größten Teil seiner Freizeit verbracht hatte. Doch nach neun Monaten ist kaum noch mit Spuren zu rechnen, und am Ende hatPellegrini nicht mehr als eine Probe aus einer Teppichstelle, die man für einen Blutfleck halten könnte.
Trotzdem benimmt sich Andrew plötzlich, als hätte er etwas zu verbergen, und der Lacksplitter scheint Pellegrini unbestreitbar ein Stück der Wahrheit zu enthalten: Irgendwo im Verlauf dieser Geschichte muss er von Andrews Hintertür zwischen die Strumpfhose von Latonya Wallace und ihre Wade gekommen sein.
Vorübergehend sieht es so aus, als würden die Dinge eine erfreuliche Wendung nehmen. Doch kaum eine Woche später, als Pellegrini wieder in die Newington Avenue gefahren ist, bemerkt er beim Gang über das Gelände, dass die orangeroten Lacksplitter nicht nur vor Andrews Hintertür, sondern auch auf den Nachbargrundstücken liegen. Bei seinem letzten Besuch war ihm lediglich der stark abblätternde Farbanstrich der Tür aufgefallen, doch als er sich jetzt den Boden hinter den Nummern 716, 718 und 720 genauer anschaut, findet er den abgeplatzten Lack, von Wind und Regen verteilt, überall. Die orangeroten Farbblättchen leuchten ihn an wie Katzengold. Der Lacksplitter von der Strumpfhose muss bereits auf dem Boden gewesen sein, als die Leiche des kleinen Mädchens hinter der Newington 718 abgelegt wurde. Aber so schnell gibt Pellegrini nicht auf. Wie, so fragt er sich, konnte die Farbabplatzung auf die Innenseite der Strumpfhose gelangen? Wie war sie zwischen das Gewebe und das Bein gekommen, wenn nicht, nachdem das Mädchen entkleidet worden war?
Es dauert nicht lange, bis Van Gelder die Antwort gefunden hat. Bei einer nochmaligen Prüfung des Spurenmaterials stellt er fest, dass die Strumpfhose linksherum gedreht ist, wie sie es sicher auch war, als sie Landsman und Pellegrini sich zuletzt angeschaut haben. Gut möglich, dass die Strumpfhose schon seit der Autopsie, bei der das Mädchen entkleidet wurde, linksherum gewesen war. Offenbar hatte sich der Lacksplitter wohl die ganze Zeit auf der Außenseite der Strumpfhose befunden.
Mit Van Gelders Erklärung fällt es Pellegrini nicht schwer, sich den Rest der Geschichte zusammenzureimen: Andrew war nervös geworden – wer würde nicht irgendwann die Nerven verlieren, wenn ein Morddezernat immer wieder mit neuen Fragen käme? Was die Teppichprobe betrifft, so weiß Pellegrini selbst, dass sich an ihr höchstwahrscheinlich kein menschliches Blut nachweisen lassen wird. Zum Teufel mit Andrew, denkt er. Der ist kein Verdächtiger, der ist eine vergeudete Woche.
Und der Fish Man, als Tatverdächtiger so treu wie kaum ein anderer, übernimmt wieder die Hauptrolle.
Freitag, 28.
Weitere Kostenlose Bücher