Homicide
Oktober
Donald Waltemeyer bewegt die Unterarme der jungen Frau und prüft, ob Hände und Finger bereits steif werden. Ihre Arme folgen locker seinen Bewegungen, was der Szene das Aussehen von einem grotesken, im Liegen ausgeführten Tanz gibt.
»Sie ist nass«, sagt er.
Milton, der Junkie auf dem Sofa, nickt.
»Was haben Sie gemacht? Sie in kaltes Wasser gelegt?«
Milton nickt erneut.
»Wo? Im Bad?«
»Nein. Ich habe sie bloß mit Wasser besprenkelt.«
»Wo haben Sie das Wasser her? Von der Badewanne?«
»Ja.«
Waltemeyer geht ins Badezimmer. Tatsächlich, es sind noch Spritzer in der Wanne zu sehen. Er kennt den unter Junkies verbreiteten Aberglauben, man solle jemanden mit einer Überdosis am besten in eine Wanne mit kaltem Wasser stecken – als ob er damit loswerden könnte, was er sich in die Vene gejagt hat.
»Eine Frage, Milton«, sagt Waltemeyer. »Haben Sie und das Mädchen dasselbe Besteck benutzt, oder haben Sie sich Ihren Schuss mit einem anderen gesetzt?«
Milton steht auf und geht zum Schrank.
»He!, Scheiße, ich will’s nicht sehen, verdammt«, sagt Waltemeyer. »Wenn Sie mir das Besteck zeigen, muss ich Sie einbuchten.«
»Oh.«
»Einfach die Frage beantworten. Haben Sie sich eine Spritze geteilt?«
»Nein. Ich habe mein eigene.«
»Gut. Setzen Sie sich wieder hin und erzählen Sie mir noch einmal genau, was passiert ist.«
Milton fängt von vorne an, ohne etwas auszulassen. Waltemeyer hört sich zum zweiten Mal an, wie die junge Weiße hierherkam, um sich einen Schuss zu setzen, dass sie das öfter gemacht habe, weil ihr Mann mit ihrer Sucht nicht zurechtkam.
»Wie ich schon sagte, sie brachte mir diese Packung Nudeln mit, weil sie neulich hier welche gegessen hat.«
»Die Makkaroni da?«
»Ja. Die hat sie mitgebracht.«
»Hatte sie ihren eigenen Stoff?«
»Ja. Ich habe meinen, und sie brachte ihr Zeug mit.«
»Wo saß sie, als sie gedrückt hat?«
»In dem Sessel da. Sie hat sich den Schuss gesetzt und ist eingeschlafen. Nach einer Weile habe ich nachgeschaut, und da hat sie nicht mehr geatmet.«
Waltemeyer nickt. Ein klarer Fall, der richtig gute Laune macht. Nachdem er drei Monate lang hinter Geraldine Parrish und ihren verschwunden Verwandten her war, ist so ein simpler goldener Schuss geradezu eine Erleichterung. Hoffentlich komme ich bald wieder in den normalen Schichtdienst, hatte Waltemeyer in letzter Zeit öfter gedacht, sonst drehe ich noch durch. McLarney sah das genauso.
»Deine Fahrberichte werden immer schlampiger«, hatte ihm der Sergeant vor einer Woche gesagt. »Kommt mir vor wie ein Hilferuf.«
Schon möglich. Waltemeyer hatte den Fall Parrish so weit vorangebracht, wie er nur konnte. Bis zum Auftakt des Prozesses stand ihm allerdings noch einiges bevor. Und er hatte immer noch nicht genau herausgefunden, was mit Geraldines letztem Ehemann geschehen war, dem betagten Reverend Rayfield Gilliard, der ein paar Tage nach der Hochzeit das Zeitliche gesegnet hatte. Inzwischen behauptete jemand aus der Verwandtschaft, Miss Geraldine habe zwei Dutzend zerstoßene Valium unter den Tunfischsalat des Reverend gemischt und dann zugesehen, wie der alte Mann langsam und unter Krämpfen starb. Die Geschichte klang so plausibel, dass Doc Smialek und Marc Cohen, der zuständige Staatsanwalt, eine Exhumierung ins Auge fassten. Es gab Tage, da hatte Waltemeyer das Gefühl, dieser Fall würde niemals enden.
All dies machte so einen kleinen goldenen Schuss zum reinsten Vergnügen. Eine Leiche, ein Zeuge, eine Seite Bericht für den Schreibtischdes Verwaltungslieutenant – das war Polizeiarbeit nach Waltemeyers Geschmack. Die Spurensicherung ist schon fleißig an der Arbeit und der Leichenwagen der Rechtsmedizin unterwegs. Der Zeuge ist ausnahmsweise kooperativ und anscheinend sogar glaubwürdig. Alles plätschert seiner Auflösung entgegen, bis der erste Officer am Tatort in der Tür erscheint und den Ehemann der toten jungen Frau meldet.
»Brauchen wir ihn zur Identifizierung?«, fragt der Uniformierte.
»Ja«, sagt Waltemeyer, »aber nicht, wenn er hier raufkommt und eine Szene macht. Das will ich nicht.«
»Ich werd’s ihm einschärfen.«
Der Ehemann erscheint am Fuß der Treppe. Er wirkt zutiefst bekümmert. Ein gut aussehender Mann, ungefähr dreißig, groß, mit langem, sandbraunem Haar.
»Wenn Sie da raufgehen, müssen Sie sich beherrschen«, ermahnt ihn der Officer.
»Ich verstehe.«
Waltemeyer hört schon die Schritte auf der Treppe, als er bemerkt, dass
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