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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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Kollegen in einem bühnenreifen Monolog bis ins letzte Detail, wie sich die Geschichte später im Motel fortgesetzt hat. Jeder kann seine Frau belügen, aber der Detective eines Morddezernats bellt dazu im Kaffeeraum ins Telefon, dass er noch lange mit einem wichtigen Fall zu tun habe, und wenn sie ihm nicht glauben wolle, dann solle sie sich zum Teufel scheren. Nachdem er sie so liebevoll überzeugt hat, knallt er den Hörer auf die Gabel und geht steifbeinig zum Kleiderständer.
    »Ich bin dann mal drüben in der Market Bar«, verkündet er den fünf anwesenden Detectives, die vor sich hingrinsen. »Und falls sie anruft, bin ich auf Einsatz!«
    Ein Detective versteht, dass es da draußen eine andere Welt gibt, ein anderes Universum, in dem Diskretion und Privatleben noch eine Bedeutung haben. Irgendwo weit weg von Baltimore, das weiß er, leben brave Steuerzahler, denen die Vorstellung eines schönen und leisen Tods lieb und teuer ist – der Abschluss eines gelungen Lebens, das in aller Stille an einem privaten, komfortablen Ort in Würde und Abgeschiedenheit verlöscht. Die Detectives haben viel über diese Art von Tod gehört, ihn jedoch nur selten zu Gesicht bekommen. Der Tod, den sie kennen, hat mit Gewalt und dummen Fehlern, mit Gedankenlosigkeit und Grausamkeit zu tun. Welche Bedeutung soll in einem solchen Gemetzel das Private haben?, fragt sich der Detective.
    Vor einigen Monaten wurde Danny Shea aus Stantons Schicht zu einem Hochhaus nahe der Hopkins University gerufen. Eine Frau warallein in ihrer Wohnung gestorben, eine betagte Musiklehrerin, die steif und starr auf einem Ruhebett lag. Auf dem Klavier waren die Noten eines Mozart-Stücks aufgeschlagen, und das Radio in der Küche spielte leise einen Klassiksender. Shea kannte das Stück.
    »Wissen Sie, was das ist?«, fragte er den Uniformierten, einen jungen Mann, der am Küchentisch den Bericht schrieb.
    »Was?«
    »Was da im Radio läuft.«
    »Äh … hm.«
    »Ravel«, sagte Shea. »›Pavane für eine verstorbene Prinzessin‹.«
    Es war ein schöner, natürlicher Tod, beeindruckend und perfekt. Shea kam sich in der Wohnung der alten Dame auf einmal wie ein Eindringling vor, wie jemand, der eine höchst private Szene stört.
    Ein ähnliches Gefühl hat Waltemeyer in diesem Augenblick, als er auf die tote Drogensüchtige blickt und ihren Ehemann die Treppe heraufkommen hört. Der Tod von Lisa Turner hat allerdings nichts Schönes oder Ergreifendes: Waltemeyer weiß, dass sie achtundzwanzig war, aus North Carolina stammte und verheiratet war. Und aus Gründen, die sich seinem Verständnis entziehen, kam sie regelmäßig in dieses Dreckloch, um sich Heroin zu spritzen, bis es sie erwischte. Ende der Geschichte.
    Trotzdem macht bei Waltemeyer etwas klick, und in seinem Hirn legt sich ein schon lange vergessener Schalter um. Vielleicht, weil sie jung ist, vielleicht weil sie hübsch aussieht in ihrem hellblauen Pullover. Vielleicht auch deshalb, weil es letztlich doch seinen Preis hat, ständig im Privatleben anderer Menschen herumzustochern, weil man nicht immer nur Beobachter bleiben kann, ohne irgendwann einmal darunter zu leiden.
    Waltemeyer schaut auf die junge Frau, hört, wie sich ihr Ehemann die Treppe heraufmüht, und plötzlich, ohne darüber nachzudenken, zieht er ihr den Pullover über der Schulter zurecht.
    Als der Mann in der Tür erscheint, stellt ihm Waltemeyer rasch die Frage. »Ist sie das?«
    »O Gott«, sagt der Mann. »O mein Gott.«
    »Okay, das reicht«, sagt Waltemeyer und gibt dem Uniformierten einen Wink. »Danke, Sir.«
    »Wer ist das, verdammt noch mal?«, fragt der Ehemann, der Milton wütend anfunkelt. »Was macht der hier?«
    »Bringen Sie ihn raus«, sagt Waltemeyer und verstellt dem Ehemann den Blick. »Gehen Sie mit ihm nach unten. Sofort.«
    »Scheiße, ich will bloß wissen, wer das ist!«
    Die beiden Uniformierten packen den Mann und schieben ihn aus der Wohnung. Ruhig, sagen sie zu ihm. Ganz ruhig.
    »Schon gut! Ich habe mich im Griff«, sagt er, als sie unten angekommen sind. »Ist schon gut.«
    Sie führen ihn in den Hausflur und bleiben neben ihm stehen, als er sich schwer atmend an die Wand lehnt.
    »Ich wollte nur wissen, was der Typ da drin mit ihr gemacht hat.«
    »Er wohnt da«, sagt einer der Uniformierten.
    Der Ehemann wirkt so verletzt, dass sich einer der Uniformierten erbarmt und ihm sagt, was er offensichtlich wissen will: »Sie war nur da, um sich einen Schuss zu setzen. Sie hat nicht mit ihm gebumst

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