Homicide
Rücken geschossen. ›Ich kann es nicht fassen, dass er auf mich geschossen hat. Ich kann es einfach nicht fassen‹, hat er mehrmals wiederholt.«
»Das alles haben Sie gehört?«
»Ich stand direkt über ihm. Mein Partner hat es ebenfalls gehört. Er sagte noch, dieser Warren würde mit ihm in einer Firma namens Precision Concrete arbeiten.«
Gut gemacht, mein Junge, gut gemacht. Während die Welt um dich herum verdämmerte, hast du es auf der Pritsche in der Ambulanz Nr. 15 doch noch geschafft und gesagt, was gesagt werden musste. Du hast etwas hinterlassen, für das dich jeder Detective ins Herz schließt. Rich Garvey dankt dir.
Die Aussage eines Sterbenden, wie das die Anwälte nennen, ist ein vor Gerichten in Maryland zugelassener Beweis – sofern das Opfer durch kompetentes medizinisches Personal darüber informiert ist, dass es im Sterben liegt, oder es selbst zu verstehen gibt, dass es um seinen Zustand weiß. Zwar kommt es gar nicht so selten vor, dass ein sterbendes Mordopfer noch etwas sagt, doch häufig kann ein Detective mit dieser Äußerung nichts anfangen, sofern sie überhaupt etwas Relevantes enthält.
Jeder Detective des Morddezernats hat seine Lieblingsgeschichte über die letzten Worte eines Mordopfers. Häufig handelt sie davon, wie jemand bis zum letzten Atemzug am Verhaltenskodex der Straße festhielt. In einer geht es um die letzten Augenblicke im Leben eines Drogensüchtigen, der noch bei Bewusstsein war, als die Polizei eintraf.
»Wer hat auf Sie geschossen?«
»Sage ich gleich«, erklärte das Opfer, offenbar ahnungslos, dass ihm noch ungefähr vierzig Sekunden Leben blieben.
Ein Sterbender mit tiefen Stichverletzungen in der Brust und im Gesicht behauptete, er hätte sich beim Rasieren geschnitten. Jemand, der mit fünf Kugel in der Brust und im Rücken zu Boden gesunken war, versicherte den Officers mit seinem letzten Atemzug, dass er alleine klarkomme.
Doch die klassischste Geschichte von der Aussage eines Sterbendenstammt von Bob McAllister. Es geschah 1982, während seiner ersten Wochen als Detective im Morddezernat. Mac hatte mit anderen Detectives lange in einer Sonderkommission gearbeitet und war in einigen anderen Fällen der zweite Ermittler gewesen, trotzdem aber noch ziemlich grün hinter den Ohren. Damit er etwas lernen konnte, gab man ihm einen erfahrenen Partner: Jake »die Schlange« Colemann, auch der Polyesterprinz genannt, eine kleine, drahtige Gestalt mit einer Stimme wie Sandpapier und eine lebende Polizeilegende. Als man einen Einsatz zu einer Schießerei auf der Pennsylvania Avenue aufrief, machte sich Jake Coleman mit McAllister im Schlepptau auf den Weg.
Der Tote auf der Ecke Pennsie und Gold hieß Frank Gupton. McAllister kann sich noch gut an den Namen erinnern, und er weiß auch, dass der Fall bis heute so offen wie der Tag lang ist.
»Er hat noch gelebt, als wir ankamen«, meldete ihnen der Polizist, der als Erster am Tatort eingetroffen war.
»Ach, wirklich?«, meinte Coleman hoffnungsvoll.
»Ja. Wir haben gefragt, wer auf ihn geschossen hat.«
»Und?«
»›Verpisst euch‹, hat er gesagt.«
Coleman klopfte McAllister auf die Schulter. »Na, mein Junge«, grummelte er und nutzt die Gelegenheit, dem jüngeren Detective zu zeigen, wo es langgeht, »sieht so aus, als hättest du deinen ersten Mordfall.«
Jetzt, hier draußen auf der Fremont Avenue, wissen Garvey und McAllister zumindest eins über ihr Opfer, einen gewissen Carlton Robinson: Er war aus einem anderen Holz geschnitzt als Frank Gupton. Er wollte gerächt werden.
Eine Stunde später haben sie den Tatort aufgenommen, und die beiden Detectives sind in einem Reihenhaus im Westen Baltimores. Dort sprechen sie mit Carltons Freundin, die ihm seine Frühstücksdose zurechtgemacht und ihm einen Abschiedskuss gegeben hat, als er früh am Morgen aufbrach, um seine Mitfahrgelegenheit zur Arbeit zu erwischen.
Die Befragung ist eine harte Angelegenheit. Die Freundin ist von Carlton schwanger, er stand zu ihr, und sie sprachen von Heirat. Sie weiß, dass er normalerweise an der Ecke Pennsylvania und North abgeholt wird, und kennt den Namen Warren Waddell als den eines Kollegenund gelegentlichen Mitfahrers. Aber Garvey und McAllister haben nur ein paar Minuten, bevor das Telefon in der kleinen Wohnung schrillt. Das Krankenhaus, denkt Garvey, der weiß, was nun kommt.
»Nein«, heult sie, lässt den Hörer zu Boden fallen und sinkt in die Arme einer Freundin. »Nein. O Gott, nein …«
Garvey
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