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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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irgendwas im Zimmer angefasst?«, hakt Worden nach. »Was auch immer?«
    »Nein, Sir.«
    Worden winkt den jungen Mann zu sich heran und zieht ihn in eine Ecke. Leise und auf eine Weise, die der Angestellte gleich als ehrlich erkennt, erklärt ihm Worden, dass der Tote wohl offenbar ermordet wurde. Und er versichert ihm: Uns geht es allein um den Mord.
    »Nehmen Sie es uns nicht übel«, erklärt der Detective, »Aber wenn Sie hier etwas angefasst oder mitgehen lassen haben, sagen Sie es uns besser gleich. Es hätte auch weiter keine Folgen …«
    Der junge Mann versteht, worauf er hinauswill. »Nein«, erklärt er, »ich habe nichts gestohlen.«
    »Dann ist es ja gut«, meint Worden.
    Waltemeyer wartet, bis der Angestellte das Zimmer verlassen hat.
    »Wenn der die Brieftasche nicht genommen hat«, sagt er, »muss es jemand anders gewesen sein.«
    Allmählich zeichnet sich ein Bild ab: Mann trifft einen Jungen, Mann zieht sich aus, Junge stranguliert Mann und stiehlt Bargeld, Kreditkarten und den Ford Thunderbird, um damit in den Sonnenuntergang Baltimores zu fahren. Es sei denn, es war der Jugendliche, den der Mann bei sich aufgenommen hatte. Vielleicht hatte der es einfach satt, ihm ständig zur Verfügung zu stehen, und hat seinem Herrn und Gebieter deshalb die Gurgel umgedreht. Das könnte ebenfalls passen, denkt Worden.
    Ihr Labortechniker bei diesem Einsatz ist Bernie Magsamen – ein guter Mann, einer der Besten. Sie nehmen sich für den Tatort alle Zeit, die sie brauchen, und sichern Fingerabdrücke auf dem Nachtschrank, auf den benutzen Gläsern vor dem Bett und am Waschbecken im Badezimmer. Außerdem fertigen sie eine genaue Zeichnung und mehrere Fotos von der Leiche in ihrer unnatürlichen Haltung an. Sorgfältig untersuchen sie die Habseligkeiten des Mannes, sehen nach, was fehlt, was fehlen könnte oder was eigentlich nicht da sein sollte.
    Sie wissen, dass sie einen Mord vor sich haben, sie wissen es und behandeln diese Tatsache mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie jemand, der das Motelzimmer als Motelzimmer oder seinen Bewohner als Toten erkennt. Für Worden und Waltemeyer ist der Tod von Robert Yergin ein Mord, obwohl das Opfer fünfundsechzig ist und Übergewicht hat, also ein aussichtsreicher Kandidat für einen Herzinfarkt,einen Schlaganfall oder andere natürliche Todesarten. Für sie ist es Mord, obwohl sie am Opfer keine Anzeichen für einen Kampf oder Verletzungen finden, für sie ist es Mord, trotz des Fehlens von Kapillarblutungen im Weiß der Augen – Verdachtsmomente, die Hinweis auf eine Strangulation sein können. Für sie ist es selbst dann noch Mord, als Worden die Brieftasche des Opfers mit einem dicken Geldbündel und den Kreditkarten in der Sakkotasche findet, was darauf schließen lässt, dass sich der Täter keine große Mühe gab, den Mann zu bestehlen. Es ist Mord, weil Robert Yergin mit Burschen ins Bett ging, die er kaum kannte, und nun in einer seltsamen Haltung daliegt, und weil sein 1988er-Ford-Thunderbird verschwunden ist. Was braucht ein guter Detective mehr, um diesen Schluss zu ziehen?
    Gerade mal drei Stunden später steht Donald Worden neben Donald Kincaid am entgegengesetzten Ende der Stadt vor einer zehn Meter langen, halb getrockneten Blutspur, die in einem purpurroten See endet, nachdem sie die ganze Länge eines unbewohnten Hauses in der West Lexington Street durchlaufen hat. Obwohl sich der Mann, dessen Halsschlagader dieses Stilleben malte, in Bon Secours noch ans Leben klammert, wird auch dies als Mord in die Annalen eingehen. Das weiß Worden, nicht nur, weil so viel Blut auf die schmutzigen Fliesen des Flurs gespritzt ist, sondern auch, weil es keinen brauchbaren Verdächtigen gibt.
    Zwei Whodunits in einer Nacht – der neue Maßstab, an dem ein Detective in Baltimore gemessen wird. Jeder halbwegs Erfahrene kann eine Reihe rätselhafter Fälle bearbeiten, sofern sie in mehreren aufeinanderfolgenden Nächten auftreten, oder während einer harten Nachtschicht zwei Dunker bewältigen. Doch was bewegt einen Ermittler mit einer offenen Fallakte auf dem Schreibtisch, drei Stunden später das Telefon zu beantworten, sich ein Paar neue Gummihandschuhe und eine Taschenlampe zu schnappen und zu einer Schießerei in West Baltimore auf Einsatz zu fahren?
    »So, so«, meint Mclarney am nächsten Morgen, als er die neuen Namen auf der Tafel sieht. »Sieht ganz so aus, als würde uns Donald nichts mehr zutrauen.«
    Das ist der Donald Worden, den Terry McLarney als

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