Homicide
Hund muss der Arsch auf Grundeis gegangen sein, als wir mit der Exhumierungsanweisung ankamen.
Nach dem zweiten Fehlschlag nimmt man von weiteren Ausgrabungsversuchen des verlorenen Reverend Gilliard Abstand. Da Miss Geraldine unter ihrem Namen bereits eine ganze Reihe von Mordanklagen angesammelt hat, wird dieser eine wohl nicht geahndet werden. Rechtsmediziner, Staatsanwälte und Cops haben nicht mehr die Nerven,noch ein weiteres Grab zu stören. Für Waltemeyer aber kommen diese Bedenken zu spät. Gewiss, die Ermittlungen gegen Geraldine Parrish waren der Höhepunkt seiner Karriere, und mit seiner hartnäckigen Verfolgung des Falls konnte er sein Renommee als gestandenes Mitglied des Morddezernats festigen. Mit seinen Abenteuern in Mount Zion aber erwarb er sich noch einen ganz anders gearteten Ruf.
Als wäre es für ein katholisches Gewissen nicht schon schlimm genug, einen fremden, unschuldigen Leichnam aus dem Grab zu zerren, findet er an einem Januartag bei der Rückkehr ins Büro ein neues Namensschild auf seinem Schreibtisch vor, eins von der Sorte, die man in Läden für Bürobedarf bestellen kann.
»Det. Donald Grabemeyer« lautet die Inschrift.
Montag, 5. Dezember
»Mir gefällt nicht, wie er daliegt«, sagt Donald Worden, als er sich über das Bett beugt. »So komisch auf der Seite … Sieht aus, als hätte ihn jemand herumgerollt.«
Waltemeyer nickt.
»Ich glaube«, fährt Worden fort und lässt den Blick durch den Raum gleiten, »wenn wir ihn von der Rechtsmedizin zurückkriegen, werden wir ihn als Mord eintragen.«
»Denke ich auch«, meint Waltemeyer.
Der Körper zeigt keine erkennbaren Verletzungen, weder Schuss- noch Stichwunden, weder Quetschungen noch Prellungen. Am Mund klebt ein bisschen getrocknetes Blut, aber das könnte auch durch das Einsetzen der Verwesung entstanden sein. Und im Motelzimmer sieht man weder Spuren eines Kampfes, noch wurde es durchwühlt. Aber der alte Mann unter den Laken liegt mit einem unnatürlich durchgebogenen Rücken auf der rechten Seite, als habe ihn jemand in diese Position gebracht, um ihn auf Vorhandensein von Lebenszeichen zu überprüfen.
Der fünfundsechzigjährige Weiße aus dem Süden Marylands ist gut bekannt bei den Angestellten des Eastgate Motels an der alten Route 40 in East Baltimore, wo man für fünfundzwanzig Dollar pro Nacht ein Zimmer mit schäbigen Tapeten und Doppelbett haben kann. Einmal inder Woche kam Robert Wallace Yergin aus seinem Wohnort Leonardtown nach Baltimore und mietete sich für eine Nacht im Eastgate ein. Anschließend herrschte ein reges Kommen und Gehen junger Burschen.
Für diesen Zweck ist das Eastgate günstig gelegen. Nur wenige Blocks von der Mündung der Pulaski in die East Fayette Street entfernt, trennen das Motel gerade mal ein paar Querstraßen vom Rand des Patterson Parks, wo man sich für zwanzig Dollar die Dienste eines blonden Billy Boy zwischen zwölf und achtzehn kaufen kann. Der Pädophilenstrich an der Eastern Avenue ist alt und bei interessierten Männern an der gesamten Ostküste gut bekannt. Als die Sitte von einigen Jahren einen Kinderpornoring aushob, beschlagnahmten sie sogar Reiseführer für die wichtigsten amerikanischen Großstädte mit einschlägigen Adressen homosexueller Prostitution. Für Baltimore empfahlen die Bücher die Wilkens Avenue in Höhe der Monroe Street und den Patterson Park an der Seite der Eastern Avenue.
Die Leute von Empfang und Zimmerservice des Eastgate Motels kennen Robert Yergins Vorliebe für minderjährige Jungs. Sie beschreiben einen Sechzehnjährigen, der in den letzten Monaten Yergins ständiger Begleiter gewesen war. Er stammt aus Baltimore, erklären sie Worden, ein Strichjunge, der es für zwei Pfund Fleisch machte und der bei dem alten Perversling draußen auf dem Lande einen Platz gefunden hatte. Wenn Yergin nach Baltimore fuhr, um seine Lust auf Teenager zu stillen, kam der Junge mit und besuchte Freunde aus der Gegend, wo er aufgewachsen war.
»Vielleicht hat er auch das Auto genommen«, sagt ein fünfundzwanzigjährige Mann von der Reinigungsfirma, der den Toten gefunden hat. »Womöglich nur ausgeliehen, oder so.«
»Vielleicht«, sagt Worden.
»Als Sie ins Zimmer kamen und ihn fanden, haben Sie ihn da angefasst?«, fragt Waltemeyer. »Umgedreht, um zu sehen, ob er Hilfe braucht?«
»Nein, ganz bestimmt nicht«, sagt der Angestellte. »Ich habe gleich erkannt, dass er tot ist. Deshalb habe ich ihn auch nicht berührt.«
»Und haben Sie
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