Homicide
bestaunt den seltenen und außergewöhnlichen Anblick eines glücklichen Donald Worden.
»Und?«, fragt der Lieutenant verwirrt.
»Aus dem Handgelenk«, meint Worden grinsend. »Es muss aus dem Handgelenk kommen.«
Freitag, 9. Dezember
Regel Nummer zehn im Handbuch des Morddezernats: Es gibt ihn, den perfekten Mord. Es hat ihn immer gegeben, und wer etwas anderes behauptet, ist ein naiver, romantischer Narr und kennt Regeln eins bis neun nicht.
Ein typisches Beispiel: ein Schwarzer mit Namen Anthony Morris, einundzwanzig, erschossen im Westen der Stadt Baltimore, Maryland. Ein junger Mann, schlagartig seiner Position im lokalen Drogenhandel beraubt, aufgefunden von Streifenpolizisten des Western in einem leeren Hinterhof der Gilmor Homes. Einer oder mehrere Täter haben wiederholt den Abzug einer Waffe vom Kaliber .38 betätigt und die Kugeln auf den Weg geschickt, die Mr. Morris’ Körper durchlöcherten.
Als man diese Kugeln am kommenden Tag aus seinem Körper birgt, erweisen sie sich allesamt als fragmentiert und verformt und daher für einen Abgleich nicht mehr zu gebrauchen. Und weil es sich bei der Waffe um einen Revolver handelt, lassen sich auch keine herumliegenden Patronenhülsen finden. Doch ohne bei einer anderen Tat sichergestellte Waffen, Kugeln oder Hülsen – also Material für einen ballistischen Vergleich – ist diese Frage ohnehin akademisch. Darüber hinaus ist der Tatort ein asphaltierter Hinterhof, auf dem sie jetzt im Winter weder Fingerabdrücke noch Haare, synthetische Fasern, Fußabdrücke oder Sonstiges sichern können, was eventuell eine Spur wäre. Noch findet sich etwas in den Taschen des Toten, das sie weiterführt. Mr. Morris hatte auch nichts Erhellendes zu sagen, als die ersten Polizisten und Sanitäter am Tatort eintrafen, denn da war er ja schon tot.
Zeugen? In dieser Nacht ist der Abschnitt der Gilmour Homes menschenleer. Die Bewohner wurden umgesiedelt, da demnächst eine Grundrenovierung durchgeführt werden soll, und der Hof, den Mr.Morris betrat, ist dunkel, kalt und von allen guten Geistern verlassen. Es gibt weder Straßenlaternen noch ein Licht in den verbarrikadierten Wohnungen, keine Fußgänger, keine Nachbarn, keine Läden, keine Bar.
Ein verdammt guter Ort für einen Mord, denkt Rich Garvey, als er den Blick über den verlassenen Hof schweifen lässt. Perfekter geht’s nicht. Anthony Morris wurde in einer Stadt mit 730.000 Einwohnern erschossen, aber so, wie es aussieht, hätte es genauso gut in der Wüsten von Nevada oder der arktischen Tundra geschehen sein können.
In dem anonymen Anruf, der ihren Einsatz auslöste, war nur von Schüssen berichtet worden. Nicht von einem Schusswechsel, nicht von einer Leiche, und so gibt es auch niemanden, der das Opfer fand. Keine Passanten, keine trauernden Angehörigen, keine Gangmitglieder, die sich an der Straßenecke Zeichen geben. Während McAllister, sein zweiter Mann, beschäftigt ist, steht Rich Garvey frierend in den ersten Stunden des Wintermorgens und sucht nach den leisesten Zeugnissen von Leben im näheren Umkreis – nach einem warmen, hellen Ort, wo ein Detective seine ersten Fragen stellen kann.
Nichts. Es herrscht vollkommene Stille; diese Ecke der Stadt ist menschenleer. Es gibt nur Garvey, seinen Partner und die bekannten Gesichter der Cops aus dem Western District, die der Leiche im flackernden Blaulicht in einer schlafenden Stadt Gesellschaft leisten. Garvey mahnt sich zur Ruhe. Irgendwo steckt irgendwer, der nur darauf wartet, reden zu können, ihm von Anthony Morris und seinen Widersachern zu erzählen. Vielleicht einer aus der Familie oder seine Freundin, oder ein Jugendfreund aus einem anderen Teil der Siedlung. Oder sie bekommen einen anonymen Anruf oder den Brief eines Informanten, der wegen einer bescheuerten Straftat gerade im Knast sitzt.
Denn wenn du der Mann mit dem Traumjahr bist, ist für dich kein Tatort zu trostlos. Wo hätten sie im Fall Winchester Street ansetzen sollen, wenn sich Biemiller am Tatort nicht die Freundin des Opfers geschnappt hätte? Oder bei dem Überfall auf die Bar in Fairfield, wenn sich der Junge auf dem Parkplatz nicht an das Nummernschild des Fluchtwagens erinnert hätte? Oder beim Langley-Mord oben in Pimlico, bei dem die Uniformierten einen halben Block entfernt einen Drogendealer festnahmen, der sich als Augenzeuge entpuppte?
Ja, sagt sich Garvey. Ich habe nichts, aber auch gar nichts. Gibt’ssonst noch was Neues? Außer dem primitivsten Dunker sehen
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