Homicide
hat sich von selbst gelöst. Ich schwöre, die Waffe ist einfach losgegangen.«
Landsman lächelte bitter.
»Sie haben Ihre Lampe kaputt gemacht.«
»Na und?«, erwiderte Landsman und ging hinaus.
Draußen im Anbau sah Pellegrini seinem Sergeant mit einem zerknirschten Grinsen entgegen. »Danke, Sarge.«
Landsman zuckte die Achseln und schwieg.
»Also, wenn du nicht eingegriffen hättest«, sagte Pellegrini, »würde ich jetzt immer noch mit ihnen reden.«
»Scheiß drauf, Tom. Irgendwann hättest du das Gleiche getan«, erklärte Landsman. »Da hat nicht mehr viel gefehlt.«
Pellegrini sagte nichts, er war nicht ganz überzeugt. Hin und wieder führt ihm Landsman eine Wahrheit vor Augen, die in entnervendem Gegensatz zu Pellegrinis methodischer Suche nach empirisch abgesichertenAntworten steht. Landsmans Lektion lautet, dass wissenschaftliche Methodik, Abwägung und Präzision allein nicht reichen. Ob es ihm gefällt oder nicht – ein guter Detective muss irgendwann auch mal auf den Abzug drücken.
Donnerstag, 22. Dezember
Ein frohes Fest wünscht das Morddezernat Baltimore. An der Tür zum Anbau hängt ein Santa Claus aus Styropor, mit einer tiefen, blutenden Wunde von einem aufgesetzten Schuss auf der Stirn. Das Loch wurde ihm mit einem Taschenmesser zugefügt und das Blut mit einem roten Filzstift, aber die Botschaft ist klar. Yo, Santa. Das hier ist Baltimore. Pass gut auf!
Kim und Linda und die anderen Sekretärinnen im fünften Stock haben im Hauptbüro an den Trennwänden ein paar einsame rote und goldene Flittergirlanden, das eine oder andere Rentier aus Pappe und ein paar Zuckerstangen aufgehängt. In der nordöstlichen Ecke des Büros steht ihr Weihnachtsbaum, dieses Jahr nur spärlich geschmückt, ohne die makabren Anhänger vergangener Jahre. Einige Jahre zuvor hatten Detectives Fotos aus dem Leichenschauhaus aus den Akten geholt – meist Aufnahmen von Dealern und Auftragskillern, von denen einige ihren eigenen Weg gefunden hatten, sich einer Mordanklage zu entziehen. Mit einer gewissen Sorgfalt und einer Schere befreiten sie die von Kugeln durchlöcherten Körper aus dem sie umgebenden Hintergrund und klebten, überwältigt vom Geist Weihnachtens, selbst gemalte Flügel an ihre Schultern. Es war irgendwie rührend. Hartgesottene Schurken wie Squeaky Jordan und Abraham Partlow schwebten engelsgleich an den Plastikzweigen der Weihnachtstanne.
Doch der ursprünglich als aufrichtige Geste gemeinte Schmuck wirkt klein und verschüchtert an einem Ort, wo es schwerfällt, eine Verbindung herzustellen zwischen Worten wie »Friede auf Erden« und »den Menschen ein Wohlgefallen« und der Arbeit, der die Leute hier nachgehen. Auch am Geburtstag ihres Retters werden die Männer, deren Geschäft der Mord ist, nicht aus der Tretmühle von Schießereien, Messerstechereien und Drogentod erlöst. Trotzdem werden die Teams der Nachmittags- und Nachtschicht dem Heiligen Abend ihren Tributzollen, ihn vielleicht sogar zelebrieren. Was soll’s, so viel Ironie verdiente einfach eine gewisse Würdigung.
Ein Jahr zuvor hatte es außer ein, zwei Schießereien auf der West Side keine weiteren Weihnachtsmetzeleien gegeben. Vor zwei Jahren jedoch hatte sie das Telefon auf Trab gehalten, und im Jahr davor hatten sie sich vor Arbeit kaum retten können – zwei Beziehungsmorde und eine schwere Schießerei, mit der Nolans Team bis zum Morgengrauen beschäftigt war. Als die ersten Detectives der Frühschicht eintrafen, hatte Nolan und seine Männer ein seltsames Fieber überfallen. Sie waren im Hauptbüro und spielten Weihnachtsmorde.
»Du Schlampe!« Nolan zeigte mit dem Finger auf Hollingsworth. »Im letzten Jahr hast du mir das Gleiche geschenkt … PENG !«
»Und du bist ein Mistkerl. Ich habe schon einen Toaster«, rief Hollingsworth und zielte mit dem Finger auf Requer. » PAFF !«
»Ach wirklich?« Requer schoss seine Kugel auf Nolan ab. »Du hast schon wieder die Füllung verbrennen lassen.«
Dabei waren ihre kleinen Szenen gar nicht so weit hergeholt. Bei einer legendären Weihnachtsschicht zu Beginn der Siebzigerjahre hatte ein Vater seinen Sohn während eines Streits um helles und dunkles Fleisch umgebracht. Der Mann hatte dem Sohn das Tranchiermesser in den Leib gestoßen, weil er auf sein Recht pochte, den Weihnachtstruthahn anzuschneiden.
Gewiss, der Captain denkt immer daran, der Nachtmannschaft ein angemessenes Buffet liefern zu lassen. Außerdem dürfen die Detectives in der Weihnachtsschicht
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