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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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ausnahmsweise mal eine Flasche aus der Schublade ziehen, ohne befürchten zu müssen, von einem diensthabenden Officer gemaßregelt zu werden. Trotzdem kann man sich kaum etwas Deprimierenderes vorstellen als eine Weihnachtsschicht im Morddezernat. Wie das Schicksal es will, fällt der dreiwöchige Turnuswechsel für D’Addarios Männer in diesem Jahr auf den Morgen des 25. Dezember. Landsman und McLarney werden mit ihren Teams die Nachmittagsschicht des Heiligen Abend besetzen, Nolans Männer übernehmen die Nachtschicht, und am Weihnachtsmorgen ist dann schon wieder McLarneys Team mit der Ablösung an der Reihe.
    Keiner ist glücklich mit diesem Dienstplan. Dave Brown hat allerdings einen Weg gefunden, sich dieser Härte zu entziehen. Er ist stetsrechtzeitig darauf bedacht, für die Feiertage Urlaub zu beantragen, und da seine Tochter gerade ein Jahr alt ist und ihm ein lebhaftes Bild von häuslichem Glück vorschwebt, wird er das Präsidium am Weihnachtstag nicht mal aus der Ferne sehen, wenn es nach ihm geht. Dieser unangemessene Wunsch ist natürlich ein weiterer Punkt auf Wordens Liste der Gründe, weshalb es der Jüngere verdient hat, schikaniert zu werden. Sie enthält:
    1. Brown hat sich einen Dreck um den Fall Carol Wright geschert, weshalb er auch weiterhin nur ein durch ein Fahrzeug herbeigeführter Tod unter ungeklärten Umständen ist.
    2. Er hat fünf Wochen gefehlt, weil er sich angeblich im Hopkins wegen rätselhafter Nervenschäden oder Muskelkrämpfe am Bein operieren lassen musste, die jeder richtige Mann spätestens nach dem zweiten Bier ignorieren würde.
    3. Seine Fähigkeiten als Mordermittler muss er erst noch unter Beweis stellen.
    4. Er wird an diesem Sonntag auf der Tagschicht nicht nach Pikesville rausfahren können, um Knoblauchbagels zu holen, weil sie nun mal auf den Weihnachtstag fällt.
    5. Er besitzt die Frechheit, sich freizunehmen, wenn der Rest seines Teams wegen des Turnuswechsels nach zwölf Stunden schon wieder antreten muss.
    6. Und außerdem ist er sowieso ein Stück Scheiße.
    Worden mit seinem phänomenalen Gedächtnis braucht sich diese satte Liste nicht aufzuschreiben. Er hat sie stets parat, um seine jungen Kollegen bei allen möglichen Anlässen auf die grundlegenden Fakten des Lebens hinzuweisen.
    »Brown, du bist ein Stück Scheiße«, sagte Worden vor einer Woche im Fahrstuhl. »Weißt du, wie oft ich krankgeschrieben war, seit ich hier arbeite?«
    »Ja, du elender Schweinehund, das weiß ich«, erwiderte Brown heftig. »Nicht einen einzigen Tag. Das hast du mir schon tausend Mal erklärt, und du …«
    »Nicht einen einzige Tag«, wiederholte Worden grinsend.
    »Nicht einen einzigen Tag«, äffte ihn Brown mit Falsettstimme nach. »Lass mich doch einfach nur in Ruhe.«
    »Aber weil dein Bein ein bisschen geziept hat, musst du …«
    »Ich hatte echte Beschwerden«, fuhr Brown auf. »Es musste operiert werden. Und die Operation war gefährlich, sogar lebensbedrohlich …«
    Worden grinste in sich hinein. Er hatte den armen Jungen da, wo er ihn haben wollte. Eigentlich hatte er ihn schon seit Wochen dort. Worden war so unausstehlich geworden, dass nach ihrer Begegnung im Fahrstuhl nur ein Tag verging, bis die Akte Carol Wright wie durch ein Wunder dem Vergessen entrissen wurde und einen prominenten Platz auf Browns Schreibtisch erhielt.
    »Das hat nichts mit Worden zu tun«, versicherte Brown den anderen. »Aber dieser Fall verfolgt mich seit Monaten. Ich wollte ihn mir nach meiner Krankschreibung sowieso wieder vornehmen.«
    Mag sein. Mit einer gewissen Genugtuung beobachtet Worden jetzt vom anderen Ende des Kaffeeraums, wie sich der jüngere Detective schon den zweiten Tag wieder mit dem toten Billy-Girl auf dem Schotterplatz vertraut macht.
    Brown kämpft sich durch die Akte, die Tagesberichte, Tatortfotos, Nachermittlungen und die Erkennungsdienstfotos der zehn, zwölf Verdächtigen, die sich als Nieten erwiesen haben. Erneut liest er die Zeugenaussagen der Betrunkenen in Helen’s Hollywood Bar, die doch tatsächlich glaubten, der Mörder sei in einem Lotus mit Sonderausstattung durch die Straßen Baltimores gefahren. Und er studiert die Berichte über die Zufallskontrollen von schwarzen Sport- und Kleinwagen im Süden Baltimores.
    Nichts ist schlimmer als ein Billy-Mord, denkt Brown, entgegen seiner ursprünglichen Begeisterung. Ich hasse die Billies. Sie sprechen, wenn sie den Mund halten sollen, sie vermasseln einem die Ermittlungsarbeit, sie schwadronieren

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