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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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fanden aber weder Blut noch Risse. Seine Hände waren sauber und ohne Schnittwunden, sein Gesicht zeigte keine Kratzer. Allerdings hätte er vor der Entdeckung der Leiche die Zeit gehabt, sich zu säubern. Daher forderten sie einen Funkwagen an und schickten den Verehrer sowie die beiden Angestellten ins Präsidium.
    Nach mehr als zwei Stunden am Tatort fuhren die Detectives zurück ins Büro. Landsman hatte die drei Männer, die seiner Ansicht nach allesamt starke Ähnlichkeiten mit Nagetieren aufwiesen, in separate Räume gesteckt.
    Wiesel Nummer eins, der Kantinenmitarbeiter, der Graul den Namen des Verehrers genannt hatte, gab sich auch weiterhin beflissen und zählte eine ganze Reihe von Motiven auf, die den Täter zu dem Mord veranlasst haben könnten. Der zweite Kollege, Wiesel Nummer zwei, schien nicht mehr über den Mord an seiner Chefin sagen zu können, als dass er stattgefunden hatte. Und Wiesel drei, den Werksarbeiter, der Ernestine schöne Augen gemacht hatte, ließ ihr gewaltsamer Tod seltsam ungerührt, als sei es ein Ereignis seines Arbeitstags unter vielen.
    Landsman pendelte zwischen den Büro- und Vernehmungsräumen hin und her und wog die eine Version gegen die andere ab. Nach etwa einer Stunde hatte er sich eine Meinung gebildet. Wiesel Nummer zwei, der im großen Vernehmungsraum? Ein Volltrottel, denkt Landsman.Volltrottel und vielleicht schuldig. Wiesel eins im kleinen Vernehmungsraum? Viel zu hilfreich. Gehen wir davon aus, hilfreich und schuldig. Und Wiesel Nummer drei, der im Aquarium wartet, ist ein Arschloch. Ein Arschloch und womöglich schuldig.
    Nach dreistündigen Ermittlungen sieht Landsman, wie sich Kincaid zu Graul gesellt, der sich noch immer geduldig Lügen erzählen lässt. Es ist mittlerweile früher Morgen, und bislang hat sich Landsman als Ausgeburt von Gelassenheit und Geduld gegeben. Kein Rumgebrülle. Keine Tobsuchtsanfälle. Keine zynischen Witzchen im Chaos der Ermittlungen..
    Landsman hält sich aus zwei Gründen zurück. Zum einen bearbeitet Graul erst seinen zweiten Fall, und der Sergeant will seinen neuen Detective nicht zu stark unter Druck setzen. Der Hauptgrund ist aber, dass er Ernestine Haskins – wie Latonya Wallace – für ein wahres Opfer hält. Wenn ihn seine zwei Jahrzehnte im Morddezernat etwas gelehrt haben, dann den Unterschied zwischen einer Tötung und einem Mord. Mit den Uniformierten Witze reißen, wenn sie sich vor einem toten Yo aufgebaut haben, ist eine Sache; doch wenn es um eine junge Frau geht, der die Bluse hochgeschoben und die Kehle durchgeschnitten wurde, während ihr Mann auf dem Werkparkplatz auf sie wartete, ist das etwas völlig anderes. Selbst Landsman kann nicht alles lustig finden, was er erlebt. Und trotz seines Rufs weiß er, dass es Gelegenheiten gibt, wo ein Wutausbruch mehr Schaden anrichtet als nützt. Daher lässt er Graul und Kincaid stundenlang in Ruhe ihre Vernehmungen durchführen und wartet, bis ihnen keine neuen Fragen mehr einfallen, ehe er sich selbst in die Ermittlung einschaltet. Erst als in den frühen Morgenstunden die Verantwortlichen der Kantine im Morddezernat anrufen und erklären, aus dem Stahlschrank in der Küche seien die Kassenbelege des letzten Tages verschwunden – erst da läuft Landsman zu vollen Touren auf.
    »Verdammt, was haben die uns bloß für einen Schwachsinn erzählt?«, murmelt er, als er in den Korridor zurückstürmt.
    Wiesel eins blickt erschrocken auf, als Landsman in den kleinen Verhörraum rauscht.
    »He!, warum haben Sie uns einen Bären aufgebunden?«
    »Wie?«
    »Das ist ein Raub.«
    »Was?«
    »Dieser Mord. Die Geldkassette ist verschwunden.«
    Der Angestellte schüttelt den Kopf. Er war es nicht, versichert er Landsman. Er sollte allerdings mal den anderen Mann fragen, der in der Küche arbeitet. Der hatte schon öfter davon gesprochen, das Geld zu stehlen. Und wollte ihn zum Mitmachen überreden.
    Landsman nimmt es zur Kenntnis, dann dreht er sich um. Als er am großen Verhörraum vorbeikommt, hämmert der Verehrer der Toten, der sich allein gelassen fühlt, an die Tür, weil er aufs Klo muss.
    »Hallo, Officer …«
    »Noch ’nen Augenblick«, bellt Landsman. Er biegt um die Ecke ins Aquarium, in das der zweite Mitarbeiter der Kantine während der Vernehmungspausen gesetzt worden war.
    »Sie da«, erklärt Landsman Wiesel zwei, »hoch mit Ihnen.«
    Der Mann folgt ihm zurück auf den Korridor und in den kleinen Vernehmungsraum. Der ist inzwischen leer, weil Graul den ersten

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