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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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über alles, was sie wissen, und man vergeudet nur Zeit mit ihnen. Scheißfall, sagt er sich. Gebt mir einen Drogenmord in einer Sozialsiedlung. Gebt mir etwas, woran ich arbeiten kann …
    Brown vertieft sich in die von den Gästen aus der Bar abgegebenen Beschreibungen des Tatverdächtigen, in die unterschiedlichen Schilderungen von Haarlänge, Frisur, Augenfarbe und dem ganzen Zeug.Dann breitet er die aus den alten Hinweisen resultierenden Erkennungsdienstfotos vor sich aus und sucht nach Ähnlichkeiten, doch angesichts der lückenhaften Beschreibungen, die er hat, erscheint es ihm aussichtslos. Nicht nur, dass die Gesichter von verstörender Ähnlichkeit sind. Sondern die Billy-Boys starren ihm auch allesamt entgegen, als würden sie sagen: »Ach so, wenn ihr ein Verbrecherfoto von mir haben wollt – könnt ihr haben.« Alle sind tätowiert, haben schlechte Zähne und tragen ärmellose T-Shirts, die vor Dreck stehen könnten.
    Sieh dir dieses Exemplar an, denkt Brown, als er sich eine Aufnahme herauspickt. Ein Billy, wie er im Buche steht, unverkennbar ein Autofreak. Sein pechschwarzes Haar ist in der Mitte gescheitelt und fällt ihm halb bis zum Hintern runter. Außerdem hat der Junge vergammelte Zähne – wie sonderbar – und wirre hellblonde Augenbrauen. Dazu blickt er dermaßen benebelt in die Kamera, dass das allein schon reichen würde, um ihn wegen Drogenmissbrauch festzunehmen …
    Moment mal! Der hat blonde Augenbrauen! Blond, blonder geht’s nicht, denkt Brown verdutzt. Er betrachtet die Aufnahme aus der Nähe und vergleicht Haar und Brauen. Blond – schwarz. Schwarz – blond. Das ist die Lösung. Hier im Foto, hell wie der lichte Tag. Wie hatte er das beim ersten Mal nur übersehen können? Brown fischt sich den zum Foto gehörenden Bericht heraus.
    Wie erwartet haben sie den Namen des Kerls aus einer Verkehrskontrolle drüben bei Pigtown, durchgeführt von einem Officer des Southern District, nachdem sie im August per Fax eine Suchmeldung an die Reviere geschickt hatten. Als Brown den Bericht in den Händen hat, fällt es ihm sofort wieder ein. Der Junge fuhr einen schwarzen Mustang mit Sonnendach. Nicht unbedingt ein Cabrio und auch kein Lotus, aber es kam der Sache schon nahe. Ein Mustang konnte tiefergelegt und mit breiten Ralleyreifen aufgerüstet werden, genau, wie der Verkehrspolizist den Wagen beschrieben hatte. Beim ersten Durchlesen hatte Brown diesen Punkt ignoriert. Denn der District Officer hatte als Haarfarbe des Fahrers Schwarz angegeben, während sich die Zeugen nur in einer Aussage einig gewesen waren: dass Carol Wrights Begleiter blonde Haare hatte. Als Brown den Fall eine Woche zuvor wieder aufgegriffen hatte, war er auf die Idee gekommen, den Erkennungsdienst um die Fotos aus den Verkehrskontrollen und Nachermittlungenzu bitten. Und erst jetzt entdeckt er die nicht zu den Haaren passende Augenbrauenfarbe.
    »Schau mal, Donald, was ich hier habe.«
    Ohne große Begeisterung tritt Worden an Browns Schreibtisch.
    »Dieses Foto ist von einem, der ein paar Wochen nach dem Mord festgenommen wurde. Sieh dir mal die Augenbrauen an!«
    Der ältere Detective betrachtet die Aufnahme. Dann runzelt er die Stirn. Warum sollte sich ein blonder Billy-Boy die Haare schwarz färben? Anders herum wäre es ja noch verständlich, aber von Blond zu Schwarz? Wie oft kommt so etwas vor?
    Ein toller Treffer, gesteht sich Worden ein. Ein verdammt toller Treffer.
    Mit dem zeitlichen Abstand von vier Monaten haben sie allerdings keine großen Hoffnungen, noch Spuren zu finden, und Worden und Brown ziehen erst nach den Feiertagen los, um sich den Mann zu schnappen. Als sie Jimmy Lee Shrout an einem Januarmorgen in der Wohnung seiner Freundin in Pigtown festnehmen, sind seine Haare rot, und er wirkt, als hätte er seit August auf sie gewartet. Der zerbeulte Mustang, den sie noch am selben Tag vor der Wohnung der Freundin sicherstellen, wird zur Werkstatt in Fallsway gebracht, wo Worden bereits mit einem Mann von der Spurensicherung wartet. Als der Wagen aufgebockt ist, beginnen der Detective und der Techniker, schmierigen Dreck vom Unterboden zu kratzen. In den ersten zehn Minuten finden sie Lehm, Papierfetzen und Blätterreste, bis der Techniker zu bedenken gibt, dass nach all den Monaten wohl kaum noch etwas Brauchbares zu finden sein wird.
    »Tja«, sagt Worden, der an einem dünnen Draht zieht, um ihn von der vorderen Fahrwerksstrebe zu lösen, »und wie wollen wir das Ganze dann

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