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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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noch nachgerufen: ›Schönes Thanksgiving, du Stück Scheiße‹.«
    »Frohe Weihnachten, David«, wiederholt Worden.
    Brown schüttelt den Kopf, und McLarney beginnt zu lachen
    »Du willst, dass ich dich ein Stück Scheiße nenne?«, fragt Worden. »Dann nenne ich dich eben ein Stück Scheiße.«
    »He!, nein! Ich bin nur verwirrt.«
    »Ach, du bist verwirrt.« Worden grinst. »In dem Fall musst du mir ’nen Quarter geben.«
    »Ständig gibst du ihm ’nen Quarter«, meint McLarney. »Was soll das?«
    Dave Brown zuckt die Achseln.
    »Das weißt du nicht?«, fragt Worden.
    »Ich hab’ nicht die leiseste Ahnung«, erwidert Brown. Er fördert aus seiner Tasche eine Münze zu Tage und wirft sie Worden zu. »Er ist Donald Worden. Wenn er ’nen Quarter will, dann gebe ich ihm ’nen Quarter.«
    Worden kommentiert Browns offensichtliche Bildungslücke mit einem schwer zu deutenden Grinsen.
    »Und?«, fragt Brown. »Gibt es dafür einen Grund?«
    Noch immer grinsend klemmt Worden Browns letzten Obulus zwischen Daumen und Zeigefinger und hebt den Arm in die Höhe, sodass die Münze im Schein der Neonlampen leicht aufblitzt.
    »Fünfundzwanzig Cent«, sagt Worden.
    »Ja. Und?«
    »Und wie lange bin ich schon bei der Poo-li-zei?«, fragt Worden im breiten Singsang der Leute aus Hampden.
    Endlich fällt bei Brown der Groschen. Fünfundzwanzig Cent, fünfundzwanzig Jahre. Wordens kleine symbolische Geste der Anerkennung.
    »Schon bald«, sagt Worden lächelnd, »werde ich dazu noch einen Nickel von dir einfordern müssen.«
    Brown lächelt. Er hat gerade etwas verstanden, um das er sich noch nie Gedanken gemacht hatte, die Antwort auf eine Frage bekommen, die ihm nie in den Sinn gekommen war. Worden verlangt ’nen Quarter, und du gibst ihn ihm. Mensch, er ist der Big Man, der letzte geborene Detective in Amerika.
    »Hier, Brown!« Worden wirft dem jüngeren Detective die Münze zu. »Frohe Weihnachten.«
    Brown steht in der Mitte des Kaffeeraums und starrt mit gerunzelter Stirn auf das Geldstück in seiner rechten Hand.
    »Wenn du den Quarter brauchst, Donald, dann sollst du ihn haben.« Brown wirft das Geldstück in Wordens Richtung.
    Der fängt es auf, schleudert es aber mit einer fließenden Bewegung wieder zu dem Jüngeren zurück. »Ich will dein Geld nicht. Nicht heute.«
    »Nimm es.«
    »David.« Worden hat langsam genug. »Behalte deinen verdammten Quarter. Frohe Weihnachten dir und den Deinen. Wir sehen uns nach dem Urlaub.«
    Brown steht da und sieht Worden an, als wäre das gesamte Gefüge seiner Gedanken neu ausgerichtet worden. In der Tür bleibt er stehen und zögert, warum, weiß er selbst nicht.
    »Worauf wartest du noch?«, fragt Worden.
    »Auf nichts«, antwortet Brown schließlich. »Frohe Weihnachten, Donald.«
    Pflichten erfüllt, Schulden bezahlt. Er geht als freier Mann.
    Freitag, 23. Dezember
    Tom Pellegrini thront wie Kapitän Ahab auf der Tischecke im Konferenzraum des Colonel im fünften Stock. Unbeweglich starrt er auf den weißen Wal, den er selbst erschaffen hat.
    Ihm gegenüber, auf der anderen Seite, sitzt der Mann, der seiner Meinung nach der Mörder von Latonya Wallace ist, obwohl er einräumen muss, dass der Fish Man nicht wie ein Kinderschänder aussieht – eigentlich auch nie ausgesehen hat. Der alte Ladenbesitzer macht den Eindruck eines ganz normalen Bewohners von West Baltimore; mit seinem dunkelgrauen Jackett, der ausgebeulten Hose und den Arbeitsstiefeln verkörpert er die stille Ergebenheit, die für die Arbeiterschaft so typisch ist. Weniger typisch ist die Pfeife in seiner Jackentasche, von der Pellegrini nie ganz verstand, wozu sie gut sein sollte. Bei jemandem aus der Whitelock Street wirkte sie ein bisschen affektiert, wie eine Insel der Rebellion in diesem Meer der Konformität. Im vergangen Jahr war Pellegrini mehrmals versucht gewesen, sich das abgekaute stinkende Ding zu schnappen und es aus dem Fenster zu werfen.
    Heute hat er etwas in der Art getan.
    Unter all den großen Dingen, mit denen er sich befassen muss, ist es nur eine Kleinigkeit, aber für Pellegrini sind inzwischen auch Kleinigkeiten von Bedeutung. Der Fish Man mag seine Pfeife, und aus diesem Grund darf er sie nicht haben. Bei früheren Vernehmungen hatte der Ladenbesitzer im kritischen Augenblick stets seine Pfeife herausgezogen, als wäre sie die Antwort, und für Pellegrini verband sich der Gestank vom Kraut des Fish Man inzwischen mit der unerschütterlichen Ruhe und Gleichgültigkeit dieses Mannes. Als

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