Homicide
sie vorsichtig und blickt auf die Habseligkeiten der Schülerin.
»Hauptsächlich Bücher«, murmelt er. »Das schauen wir uns besser im Labor an. Hier draußen bringt das sowieso nichts.«
Pellegrini hebt die blaue Tasche vom Tisch und reicht sie vorsichtig an Fasio von der Spurensicherung weiter. Er wendet sich wieder seinem Notizblock zu und geht noch einmal die dürren Fakten durch – Zeit des Anrufs, die Nummern der beteiligten Einheiten, Ankunftszeit am Fundort der Leiche –, bevor er aus der Hintertür tritt und noch einmal auf das tote Kind schaut.
Der Leichenwagen, ein schwarzer Dodge, steht schon am Ende der Gasse bereit, und Pellegrini sieht zu, wie Pervis von der Rechtsmedizin auf das Grundstück zusteuert. Pervis wirft nur einen kurzen Blick auf die Leiche, bevor er zu Landsman in die Küche tritt.
»Seid ihr fertig?«
Landsman schaut zu Pellegrini hinüber. Der zögert, steht in der Tür herum und ist drauf und dran, den Jungs mit der Bahre zu sagen, sie sollen noch warten, die Leiche nicht anrühren, um Zeit zu gewinnen und den Leichenfundort, der sich bereits vor seinen Augen auflöst, noch eine Weile zu erhalten. Schließlich ist das sein Mord. Er ist zusammen mit Landsman gekommen, und er ist in diesem Fall der leitende Detective, der Primary, der die Verantwortung trägt. Und auch wenn inzwischen das halbe Morddezernat das Viertel nach brauchbaren Informationen abklappert, die Last des Falls ruht allein auf Pellegrinis Schultern.
Monate später wird der Detective an diesen Morgen auf dem Reservoir Hill frustriert und mit Gewissensbissen zurückdenken. Wenn er doch wenigstens für ein paar Minuten sämtliche Detectives, Uniformiertenund Rechtsmediziner von dem Grundstück hinter der Newington 718 gejagt hätte. Er wird an seinem Schreibtisch im Erweiterungsgebäude sitzen und sich ein Stillleben ausmalen: er selbst am Rand des Hofs auf einem Stuhl, oder vielleicht auf einem Hocker, vor sich die Leiche von Latonya Wallace, und wie er alles ringsum mit ruhiger, kühler Präzision in Augenschein nimmt. Pellegrini wird sich auch erinnern, dass er sich in diesen ersten Augenblicken den Detectives Landsman und Edgerton, die über mehr Erfahrung verfügen, gebeugt, seine eigene Autorität zugunsten von Kollegen zurückgestellt hat, die so etwas schon viele Male gesehen haben. So verständlich das war, später wird sich Pellegrini mit dem Gedanken plagen, dass er in diesem Fall nie wirklich die Führung übernommen hat.
Doch an diesem Morgen unter all den Kollegen in der Küche, als Pervis den Kopf zur Tür hereinsteckt, ist Pellegrinis Unbehagen nur ein vages Gefühl, für das er weder Worte finden noch Gründe nennen könnte. Pellegrini hat den Tatort in sein Notizbuch gezeichnet und ist zusammen mit Landsman und Edgerton jeden Zentimeter des umzäunten Hofs und einen großen Teil des übrigen Geländes zwischen den Häusern abgeschritten. Fasio hat seine Fotos gemacht und misst bereits die wichtigsten Entfernungen aus. Außerdem ist es beinahe neun. Das Viertel erwacht, und in dem fahlen Licht des Februarmorgens wirkt die aufgeschlitzte Kinderleiche im Nieselregen von Minute zu Minute unerträglicher. Selbst ein abgebrühter Mordermittler kommt schwer gegen den Schutzreflex an, Latonya Kim Wallace endlich vom nassen Asphalt aufgehoben sehen zu wollen.
»Ja, ich glaube, wir sind fertig«, sagt Landsman. »Was sagst du, Tom?«
Pellegrini schweigt.
»Tom?«
»Okay. Fertig.«
»Dann mal los.«
Landsman und Pellegrini folgen dem Leichenwagen in die Stadt, um auf einen Sprung in der Rechtsmedizin vorbeizuschauen, während Edgerton und Ceruti mit zwei Autos zu einer trostlosen, ungefähr dreieinhalb Blocks entfernten Wohnschachtel am Druid Lake Drive fahren. Am Eingang treten sie ihre Kippen aus, bevor sie mit raschen Schrittendie Treppe bis zum ersten Stock nehmen. Vor der Tür hält Edgerton kurz inne und schaut Ceruti an.
»Lass mich das machen.«
»Bitte, du hast den Vortritt, Harry.«
»Du fährst sie dann zur Rechtsmedizin, okay?«
Ceruti nickt.
Edgerton hebt die Hand und klopft. Er zieht seine Marke heraus und atmet tief durch, als er Schritte in der Wohnung 739A hört. Die Tür öffnet sich langsam, ein Mann, Ende zwanzig oder Anfang dreißig, in Jeans und T-Shirt, steht vor ihm. Er nickt bloß und lässt die beiden Polizisten wortlos herein, bevor Edgerton noch Gelegenheit hat, sich auszuweisen. Die Detectives folgen ihm in die Wohnung. Im Esszimmer sitzt ein Junge, löffelt
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