Homicide
harten Probe.
Tom Pellegrini hatte schon neun Jahre bei der Polizei hinter sich, als seine Versetzung zur Mordkommission endlich genehmigt wurde, neun Jahre, in denen er sich ständig fragte, ob die Polizeiarbeit wirklich seine Berufung war oder nur eine der vielen Schleifen auf den Umwegen, die sein Leben seit jeher nahm.
Sein Vater, der wie schon sein Großvater Bergmann in den Kohlegruben im Bergland von West-Pennsylvania gewesen war, hatte die Familie im Stich gelassen, als Pellegrini noch klein war. Pellegrini hatte nie eine Beziehung zu ihm gehabt. Als Erwachsener hatte er seinen Vater einmal übers Wochenende besucht, aber das Band, nach dem er suchte, existierte einfach nicht. Sein Vater wusste nichts mit ihm anzufangen, seine neue Frau war abweisend, und so reiste Pellegrini am Sonntag frustriert ab. Seine Mutter hatte ihm wenig Trost zu bieten. Sie hatte nie viel von ihm erwartet und sagte ihm das auch hin und wieder offen. Pellegrini war hauptsächlich bei seiner Großmutter aufgewachsen,die Sommer verbrachte er bei einer Tante und deren Kindern in Maryland.
Seine ersten Gehversuche im Leben waren wie seine ganze Kindheit von Unsicherheit und Planlosigkeit geprägt. Im Unterschied zu seinen Kollegen im Morddezernat verband Pellegrini keine persönliche Geschichte mit Baltimore, und er fühlte sich auch nicht unbedingt zum Gesetzeshüter berufen, als er 1979 dort in den Polizeidienst trat. So begann er quasi als unbeschriebenes Blatt, ohne Wurzeln, ohne Beziehungen. Er konnte auf ein paar erfolglose Studienjahre am Youngstown College in Ohio zurückblicken, in denen er nicht viel mehr gelernt hatte, als dass er für die akademische Welt nicht taugte. Er hatte eine gescheiterte Ehe hinter sich und sechs Monate in einem Kohlebergwerk in Pennsylvania – immerhin führte ihn das zu der Erkenntnis, dass er besser aus der Familientradition ausscherte. Ein paar Jahre stand er als Manager einer Firma unter Vertrag, die Volksfeste organisierte. In dieser Eigenschaft tingelte er durch etliche Städte und Bundesstaaten und kümmerte sich um die Fahrgeschäfte. Das trug ihm schließlich einen etwas besseren Posten als Leiter eines Vergnügungsparks auf einer Seeinsel zwischen Detroit und dem kanadischen Windsor ein. Hier hatte er alle Hände voll zu tun, in den harschen Wintern die Bähnchen und Achterbahnen vor dem Verrosten zu bewahren. Als sich die Betreiber des Parks aber weigerten, das nötige Geld für ausreichende Wartung und Sicherheitsvorkehrungen zur Verfügung zu stellen und Pellegrini Angst bekam, dass ihm sein eigenes Tassenkarussell um die Ohren flog, kündigte er.
Die Stellenanzeigen führten ihn nach Süden – zuerst nach Baltimore, wo er die Tante besuchte, bei der er seine Sommerferien verbracht hatte. Er blieb eine Woche in Maryland, lange genug, um auf eine Zeitungsannonce zu antworten, die für den Eintritt in den Polizeidienst von Baltimore warb. Er hatte einmal für kurze Zeit bei einem privaten Sicherheitsdienst gearbeitet, und obwohl diese Tätigkeit nicht das Geringste mit Polizeidienst zu tun hatte, gab sie ihm doch das unbestimmte Gefühl, es könnte ihm Spaß machen, ein Cop zu sein. In den späten 1970er-Jahren waren die Karriereaussichten bei der Polizei nicht besonders rosig; in den meisten Städten blieben auch die Gesetzeshüter nicht von Sparmaßnahmen und Einstellungsstops verschont. Dasschreckte Pellegrini jedoch nicht davor ab, in Baltimore zu einem Bewerbungsgespräch zu erscheinen. Doch noch bevor er vom Ergebnis erfuhr, zog er weiter nach Atlanta, wo der Wirtschaftsboom im Sun Belt gute Chancen auf eine Stelle versprach. Er verbrachte dort eine Nacht, saß in einem heruntergekommenen Viertel in einem trostlosen Diner über den Kleinanzeigen und hörte bei seiner Rückkehr ins Motel, dass seine Tante angerufen hatte. Sie ließ ihm ausrichten, dass er auf der Polizeiakademie von Baltimore angenommen worden sei.
Warum, zur Hölle, nicht, sagte er sich. Baltimore kannte er kaum, aber was er von Atlanta gesehen hatte, konnte man nicht unbedingt als paradiesisch bezeichnen. Warum, zur Hölle, also nicht.
Nach bestandenem Abschluss wurde er dem Sektor 4 des Southern District zugeteilt, einer weißen Enklave, etwa zur gleichen Hälfte bewohnt von wohlhabenden Bürgern in Häusern mit Gärten und farbigen Arbeitern. Das war nicht gerade die Hochburg der Kriminalität von Baltimore. Pellegrini begriff rasch, dass er hier zehn Jahre Dienst schieben konnte, ohne etwas zu lernen, das
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