Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
Vom Netzwerk:
Polizeiapparat wider. Als man Anfang der 1980er-Jahre die Tests abschaffte, wurden die Übernahme als Detective eine rein politische Angelegenheit. Theoretisch sollten Officers ins Morddezernat geholt werden, die sich bereits im Polizeidienst ausgezeichnet hatten, vorzugsweise in einer anderen Ermittlungseinheit des fünften Stocks. Obwohl die meisten Bewerber diese Vorbedingung erfüllten, hatte die endgültige Entscheidung dann doch mehr mit anderen Faktoren zu tun. In den 1980ern, als im Zuge der Affirmative Action verstärkt Afroamerikaner gefördert wurden, gab die Hautfarbe oft den Ausschlag. Auch ein Lieutenant Colonel oder ein Deputy Commissioner als Fürsprecher waren nicht unbedingt von Nachteil.
    Pellegrinis Unterredung mit dem Captain war so kurz wie unergiebig. Gewiss, Pellegrini war ein guter Cop mit vorzeigbaren Leistungen, aber er war weder schwarz noch der Schützling irgendeines Vorgesetzten. Doch Jay Landsman, der von der Sache hörte, war beeindruckt von Pellegrinis Schneid. Mit nichts als ein paar maschinengeschriebenen Blättern und einem Händedruck in das Büro eines Vorgesetzten zu marschieren, das erforderte Mut. Landsman ließ Pellegrini wissen, dass er ihn gerne in sein Team aufnehmen würde, falls er es ins Morddezernat schaffe.
    Am Ende spielte Pellegrini seinen einzigen Trumpf aus: einen Anwalt mit guten Verbindungen, dem er in seiner Zeit im Southern District einen Gefallen getan hatte. »Melden Sie sich, wenn ich irgendwannmal was für Sie tun kann«, hatte der damals gesagt. Das war zwar schon ein paar Jährchen her, aber Pellegrini scheute sich nicht, den alten Schuldschein einzulösen. Der Anwalt versprach, zu tun, was in seiner Macht stand. Zwei Tage später rief er Pellegrini an. Es gab keine offene Stellen in der Abteilung Gewaltverbrechen, aber über seine Beziehung zu einem stellvertretenden Polizeichef konnte er Pellegrini bei William Donald Schaefers Personenschutzeinheit unterbringen. Das war zwar nicht das Morddezernat, wie der Anwalt einräumte, aber wenn er es ein Jährchen oder zwei im Dienst des Bürgermeisters durchhielt, der oft mit dem Beinamen »der Aufbrausende« bedacht wurde, stünden ihm einige Türen offen.
    Pellegrini nahm diese Versetzung ohne große Begeisterung an und begleitete den Bonzen von Baltimore fast zwei Jahre lang von Bürgerkomitees zu Spendengalas und von da zu Festumzügen. Für Schaefer zu arbeiten war hartes Brot; er war ein waschechter Politiker, strikte Loyalität und die Bereitschaft, klaglos alles hinunterzuschlucken, gingen ihm über alles. Mehr als einmal klangen Pellegrini abends die Tiraden des Bürgermeisters in den Ohren, und mehr als einmal bekam er große Lust, den höchsten gewählten Repräsentanten der Stadt mit Handschellen an die Stoßstange des nächsten Streifenwagens zu ketten.
    Einmal, anlässlich einer Veranstaltung von March of Dimes, einer Wohltätigkeitsorganisation zur Gesundheitsförderung von Neugeborenen, die unter der Schirmherrschaft von Schaefer stand, beging Pellegrini den Fehler, sich in den Auftritt des Bürgermeisters einzumischen. Schaefer ließ seinen üblichen Redeschwall ab, der von Erbkrankheiten bis zu Baltimores neuem Aquarium reichte, als ein Organisator darauf hinwies, dass er ein Mädchen im Rollstuhl, das Aushängeschild des March of Dimes, übergangen hatte. Pellegrini, der eine PR-Katastrophe fürchtete, schob das Kind vorsichtig näher an den Bürgermeister heran und wisperte ihm zu: »Ähm, Mr. Mayor.«
    Schaefer reagierte nicht.
    »Mr. Mayor, Sir!«
    Schaefer wedelte ungeduldig mit der Hand.
    »Mr. Mayor …«
    Kaum hatte der Bürgermeister seine Rede beendet, ging er auf den Detective in Zivil los.
    »Quatschen Sie mich nie mehr so dämlich von der Seite an«, bellte er.
    Doch Pellegrini blieb der treue Soldat, wohl wissend, dass in Baltimore die Fürsprache eines Apparatschiks Gold wert war. Und er wurde nicht enttäuscht: Als Schaefer schließlich 1986 Gouverneur von Maryland wurde, belohnte er seine Entourage reichlich. Im Abstand weniger Tage gab es zwei Berufungen ins Morddezernat des CID: Fred Ceruti, ein schwarzer Zivilpolizist aus dem Eastern District, und Tom Pellegrini. Beide kamen in Jay Landsmans Truppe.
    Dort überraschte Pellegrini alle – nicht zuletzt sich selbst – durch gute Arbeit. Dabei konnte er bei seinen ersten Fällen kaum auf Instinkt oder Erfahrung bauen. Der Personenschutz des Rathauses war jedenfalls nicht gerade eine Talentschmiede für Detectives des

Weitere Kostenlose Bücher