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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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erlebt, die von älteren Polizisten gern die »Olympischen Winterspiele« genannt wurden. Damals versank Baltimore im Schneechaos, und die Bewohner begannen zu plündern. Es war McAllister, der als Stimme der Vernunft dafür sorgte, dass seine Kollegen nicht über die Stränge schlugen; mehr als einmal wirkte er mäßigend auf sie ein. In den frühen Morgenstunden parkten die beiden dann den Wagen irgendwo in Warteposition im Central District, und McAllister fragte McLarney seinen juristischen Lernstoff ab. Auf diese Weise brachte er ihn nach einer Nacht in den Sozialbauten wieder auf die Erde zurück. Der stille, vernünftige Mac, der sich selbst nicht allzu ernstnahm, war die Brücke zwischen den Welten, das Einzige, das McLarney davon abhielt, ein weiteres Studienjahr lang zu überlegen, warum der Kläger A versuchte, den Beklagten B fertigzumachen und weshalb der Richter am besten alle beide einbuchten sollten, wenn sie ihn weiter so verarschten.
    Die beiden Kollegen meldeten sich schließlich für die Aufnahmeprüfung bei der Criminal Investigation Division an. McAllister hatte genug von den Sozialbauten und wollte unbedingt ins Morddezernat wechseln. McLarney reizten die Ermittlungen in Todesfällen anfangs wenig. Eigentlich verfolgte er am liebsten Raubüberfälle, weil er auch nach zwei Jahren auf den Straßen immer noch geradezu kindlich darüber staunen konnte, dass jemand so etwas Dummes tat: »Wie jetzt, dem Kerl ist das Geld ausgegangen, und da steckt er einfach eine Pistole ein, spaziert in eine Bank und holt sich welches?«
    Beide schnitten zwei Jahre lang gut ab bei den Prüfungen, aber als dann Stellen frei wurden, musste sich Mac mit dem Raubdezernat begnügen, während McLarney über einen kleinen Umweg auf der Polizeiakademie, wo er einen kurzen Auftritt als Rechtsdozent hatte, schließlich im Morddezernat landete. Zu seiner eigenen Überraschung verliebte er sich sogleich in die Abteilung Mord und Totschlag – in die Arbeit wie in die Leute. Es war eine Elitetruppe, eine echte Ermittlungseinheit – die beste der gesamten Polizei –, und McLarney hatte sich stets als Ermittler gesehen. Die Juristenprüfung von Maryland und mit ihr der Traum von einer Juristenkarriere war nur noch eine blasse Erinnerung, als man ihm die Marke eines Detective aushändigte und seinen Schreibtisch zeigte.
    Nach zwei Jahren ungetrübten Glücks beging McLarney einen Fehler, der größte seines Lebens, wie er später oft sagte: Er legte die Prüfung zum Sergeant ab. Die Streifen am Ärmelaufschlag brachten eine leichte Gehaltsaufbesserung und die Versetzung in den Western District, wo man ihm den Sector 2 zuteilte und einen Trupp von dreiundzwanzig oder vierundzwanzig Jahre alten Milchbubis in die Streifenwagen setzte. Im Vergleich zu ihnen fühlte er sich in seinem vorgerückten Alter von einunddreißig Jahren wie ein Fossil. Auf einmal war es McLarney, der die Rolle des Ruhigen und Besonnenen übernehmen musste. Zwei Jahre lang teilte er als Sector Sergeant Abend für Abenddie Wagen ein und schickte seine Schäfchen in diesen von Gewalt und Brutalität gebeutelten Abschnitt der Stadt, einen District, in dem man niemandem trauen konnte, außer sich selbst und den Kollegen. Viel zu viel geschah viel zu schnell im Western, wo die Uniformierten die Schicht allein in einem Streifenwagen verbrachten und darauf angewiesen waren, dass die anderen im Notfall ihren Funkruf hörten und rechtzeitig zur Stelle waren.
    McLarney lernte, die Schwachen von den Starken zu unterscheiden, wer kämpfte und wer sich lieber schonte, wer die Straße kannte und wer sich so anstellte, dass er bald das nächste Opfer abgab. Pope war ein guter Mann. Cassidy ein sehr guter. Hendrix ein Kämpfer. Manche schickte McLarney nicht so gerne raus, doch irgendwie mussten die Wagen besetzt werden. Jeden Abend verbrachte er ein, zwei Stunden damit, in fliegender Hast den Papierkram zu erledigen, dann stieg er in seinen eigenen Wagen, fuhr für den Rest der Schicht kreuz und quer durch den Sector und versuchte, überall dabei zu sein. Für McLarney war es während dieser zwei Jahre nicht die Frage, ob es einmal einen seiner Männer erwischen würde, sondern bloß, wie. Im Western District musste ein Cop nicht unbedingt einen Fehler machen, um etwas abzubekommen. Würde dieser schreckliche Augenblick kommen, weil es jemandem an Ausbildung gefehlt hatte, weil er sich nicht behaupten konnte, weil er überhaupt nie in so einer verdammten Karre hätte sitzen

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