Homicide
Straßen des Western District unsicher gemacht und den gesamten Umkreis des Tatorts abgeklappert hatte. Das versuchte, Zeugen aufzutreiben, und auch dem leisesten Gerücht nachging.
Doch mittlerweile sind neun Tagen vergangen, und McLarney und seine Männer haben nichts vorzuweisen. Keine neuen Zeugen. Immer noch keine Tatwaffe. Nichts, was sie nicht schon im Oktober gewusst hätten. Und in den Straßen des Western District sprach niemand mehr von den Schüssen, die vor vier Monaten gefallenen waren.
Als McLarney sich dorthin auf den Weg macht, spürt er die Angst ein wenig stärker. Für ihn, der einst Cassidys Sergeant gewesen war, der ihn seinen Freund nannte, ist der Fall nichts Geringeres als ein Kreuzzug. Nicht nur wegen Cassidy, sondern auch, weil sich McLarney wie kaum ein anderer mit seiner Dienstmarke identifiziert. Sein Glaube an die heilige Bruderschaft der Cops, so ziemlich der heidnischste Glaube, der für einen aufrechten Iren infrage kommt, ist ungebrochen.
Es war schon ein paar Jahre her, dass Terrence Patrick McLarney dieses Feuer der Leidenschaft in sich entdeckte. An diesem Tag saß er in einem Streifenwagen des Central District, als aus einer Bank Ecke Eutaw und North ein Alarm gemeldet wurde. Konnte man sich großartiger fühlen, als mit der blauen Lichtorgel auf dem Dach die Pennsylvania Avenue hinunterzubrausen, während die Titelmelodie von
Shaft
aus dem Kassettenrekorder auf dem Beifahrersitz plärrte? Konnte man sich einen größeren Kick verschaffen, als an verdutzten Kunden in die Bank zu stürmen, ein sechsundzwanzigjähriger Zenturion mit Schlagstock und einer Achtunddreißiger im Gürtel? Was spielte es da für eine Rolle, dass es bloß ein Fehlalarm war – allein das Spektakel war die Sache wert. In einer Welt voller grauer Existenzen durfte sich McLarney zu den Guten zählen, die eine ganze Stadt vor den Bösen beschützten. Wo gab es sonst noch einen Job von solcher Reinheit?
Mit der Zeit wuchs McLarney so nahtlos in diese Rolle hinein wie nur wenige. Er wurde ein mit allen Wassern gewaschener, selbstironischer, trinkfester Cop, eine beinahe legendäre Gestalt. Er schaute, lachte, trank und fluchte wie ein irischer Wachtmeister der guten alten Zeit, dessen Gürtel Loch um Loch den Kampf gegen seinen Bauch verliert, den ihm der reichliche Genuss von gutem amerikanischen Bier einträgt. Nun, da sich sein Gewicht bei etwa 105 Kilo eingependelt hatte, sah man nicht mehr, dass McLarney einmal College-Football gespielt hatte. Aber ein paar Jährchen hatte es schon gedauert, die klaren Kontureneines Angriffsspielers durch Bewegungslosigkeit im Streifenwagen, auf dem Barhocker oder im Bett aufzuweichen.
Seine Garderobe unterstrich seinen körperlichen Verfall. Die Detectives waren sich einig, dass McLarney erst dann zur Arbeit erschien, wenn der Hund der Familie sein Hemd und sein Sakko einmal quer durch den Vorgarten geschleift hatte. Er könne sich nicht erklären, wie das passiert sei, sagte McLarney stets, seine Frau würde ihm in einer gut sortierten Einkaufspassage immer anständige Klamotten besorgen. In seinem Haus im Howard County und auf den ersten Meilen der Interstate 95 würden seine Kleider noch sauber und ordentlich aussehen. Aber irgendwo zwischen der Abfahrt zur Route 175 und der Stadtgrenze käme es dann zu einer Art von Spontanexplosion. McLarneys Hemdkragen knickte im unwahrscheinlichsten Winkel ab, gleichzeitig rutschte ihm der Krawattenknoten halb hinters Ohr. Die Ärmel seines Sakkos fransten aus und warfen Knöpfe von sich. Oberhalb der rechten Hüfte verfing sich das Sakkofutter im Revolvergriff und bekam einen Riss. Und mindestens ein Schuh hatte auf einmal ein Loch.
»Ich kann nichts dafür«, behauptete McLarney steif und fest. Höchstens, dass er manchmal, wenn er morgens spät dran war, nur die Hemdbrust bügele. »Das ist sowieso das Einzige, worauf die Leute achten«, so seine feste Überzeugung.
Er war untersetzt, blond und zeigte beim Lächeln gern seine schiefen Zähne. Wie ein großer Denker wirkte er nicht gerade, eigentlich nicht mal wie ein kleiner. Doch wer ihn kannte, wusste, dass er seinen wahren Charakter hinter seinem Äußeren und seinem Verhalten versteckte. Er stammte aus einem Mittelschichtvorort in Washington, sein Vater hatte einen hochrangigen Job im Verteidigungsministerium. In seiner Zeit im Streifendienst hatte McLarney auf dem Beifahrersitz für ein Jurastudium gebüffelt, war dann aber nie zur Anwaltsprüfung von Maryland
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