Homicide
später an Komplikationen seiner Schussverletzung in der Brust. Bei Bestimmung der erst bei der Autopsie geborgenen Kugel stellte sich heraus, dass sie aus McLarneys Dienstwaffe abgefeuert worden war.
Einige Zeit nach der Schießerei brachte ein Detective McLarney einen Ausdruck mit den Vorstrafen des Toten, der mehrere Seiten umfasste. McLarney überflog ihn mit einer gewissen Befriedigung und nahm insbesondere zur Kenntnis, dass Footman erst vor Kurzem nach Verbüßung einer Haftstrafe wegen eines Gewaltverbrechens auf Bewährung freigekommen war. Er wollte aber weder ein Foto des Toten noch seine Fallakte sehen. Das wäre McLarney dann doch zu weit gegangen.
Freitag, 12. Februar
McLarney sitzt hinter Dunnigans Schreibtisch im Nebenbüro und lauscht auf das krampfhafte, herzzerreißende Schluchzen, das durch die Tür des Vernehmungsraums dringt. Die Tränen sind echt, davon ist McLarney überzeugt.
Er beugt sich über den Schreibtisch und hört zu, wie die junge Frau auf der anderen Seite um Fassung ringt, als ihr der Mann noch einmal ihre Aussage vorliest. Ihre Stimme ist gebrochen, ihre Nase läuft. Das Mädchen empfindet offenbar Schmerz, vielleicht sogar Trauer, so echt, wie seine Gefühle für Gene Cassidy. Und das findet McLarney geradezu ungehörig.
D’Addario kommt aus seinem Büro, schlendert zur Tür des Vernehmungsraums und späht durch die verspiegelte Scheibe. »Wie läuft’s?«
»Erledigt, Lieutenant.«
»Schon?«
»Sie hat Butchie verpfiffen.«
Butchie. Tränen für Butchie Frazier.
Der Heulanfall setzte vor einer halben Stunde ein, als Yolanda Marks unter dem Druck des Verhörs zusammenklappte und Stück für Stück die Wahrheit ausspuckte. McLarney hatte sie im Vernehmungsraum schluchzen lassen, bis die Widersprüche zu groß wurden und sie einfach nicht mehr konnte. Er legte sich eine kleine Ansprache zurecht, und dann erzählte er der jungen Frau aus West Baltimore, dass sie dabei sei, das Richtige zu tun. Er machte ihr klar, was für ein Kerl dieser Butchie Frazier war, was er getan hatte, und warum es früher oder später so mit ihm enden musste. Er erzählte ihr von Gene und Patti Cassidy und von dem ungeborenen Kind, von der Finsternis, die nie von ihm weichen würde.
»Denken Sie mal darüber nach«, sagte er zu ihr.
Darauf trat Schweigen ein, das sich ein oder zwei Minuten ausbreitete, während sich die junge Frau in die tragischen Lebensumstände eines anderen Menschen einfühlte. Aber dann ging McLarney hinaus, und sie fing wieder an zu heulen, und die Tränen hatten nichts mit Gene Cassidy zu tun. Die schlichte Wahrheit war, dass Yolanda Marks Butchie Frazier liebte und sie ihn verpfiffen hatte.
»Na, hat sie geplaudert?«, will Landsman wissen, der vorbeischlendert.
»Ja«, sagt McLarney und öffnet gedankenverloren Dunnigans oberste Schublade. »Wir arbeiten an ihrer Aussage.«
»Und was sagt sie?«
»Fall gelöst.«
»Super, gut gemacht, Terr.«
Landsman verschwindet in seinem Büro, und McLarney klaubt sich eine Handvoll Büroklammern aus der Schublade, legt sie in einer Reihe auf den Schreibtisch und quält eine nach der anderen, indem er sie mit seinen kurzen, dicken Fingern vor- und zurückbiegt.
Die beiden letzten Tage hatten die Wende gebracht. Diesmal hatten sie alles richtig gemacht. Diesmal waren die Ermittlungen mit kühler Überlegung geführt worden, mit einer Präzision, wie sie in den ersten Tagen nach den Schüssen niemals möglich gewesen wäre. Die ersten Tage waren von Zorn und Frustration geprägt gewesen, Gefühle, die die Zeit und die Notwendigkeit einer Läuterung unterzogen hatten. Zwar war der Fall Cassidy für McLarney noch immer eine Art Kreuzzug, aber inzwischen einer, der stärker von kühler Vernunft als von rohen Rachegedanken bestimmt war.
Yolanda Marks Weg in den Verhörraum hatte eigentlich schon vor mehr als einer Woche begonnen, als McLarney und die beiden ihm zugeteilten Männer ihre maulfaulen Augenzeugen – den Sechzehnjährigen und seine jüngere Schwester – ins Büro des Staatsanwalts brachten. Hier unterzogen die Detectives und die Strafverfolger sie einer Reihe von außergerichtlichen Befragungen, von denen sie sich weitere Einzelheiten zu dem Vorfall erhofften, Einzelheiten, die entweder bereits vorhandene Aussagen stützten oder, besser noch, zu weiteren Zeugen führten. Insbesondere wollte McLarney herausfinden, wer die Freundinnen der Dreizehnjährigen waren, die sie angeblich begleiteten, als sie Zeugin des
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