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Homicide

Homicide

Titel: Homicide Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Simon
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Schmerz nach.
    »He!, nicht ohnmächtig werden«, schrien sie ihn an. »Nicht ohnmächtig werden!«
    Ach so, dachte McLarney. Der Schock.
    Vor dem OP-Saal hörte er von dem Mann, den er getroffen hatte, neben sich auf der Rolltrage die seltsamsten Geräusche und sah, wie an seinem Körper Kanülen und Schläuche angebracht wurden. Philipps, ein Mann aus seinem Sektor, fuhr los, um Catherine zu benachrichtigen, die die Nachricht aufnahm, wie von einem vernünftigen Menschen nicht anders zu erwarten war: Erst drückte sie ihre tief empfundene Sorge über ihren Mann aus, dann ihre tief empfundene Überzeugung, dass er, wäre er ein Anwalt, selbst in einer Stadt wie Baltimore kaum damit rechnen müsste, sich eine Kugel einzufangen.
    Das soll dir eine Lehre sein, sagte sie ihm später. Reicht es dir dennnoch nicht? McLarney hatte dem nichts entgegenzusetzen. Er war zweiunddreißig, verdiente halb so viel wie die meisten seiner ehemaligen Mitschüler auf dem College und wurde dafür auf offener Straße wie ein Hund niedergeschossen. Wenn man die Sache so auf den Punkt brachte, war sie einfach und klar. Ja, McLarney musste es zugeben, im Polizeidienst war nicht viel zu holen. Eigentlich gar nichts. Trotzdem änderte sich durch diese Schießerei nichts für ihn – dafür steckte er viel zu tief drin.
    Erst nach acht Monaten kehrte er in den aktiven Dienst zurück. Den größten Teil dieser Zeit war er mit einem künstlichen Darmausgang herumgelaufen. Als die Verletzungen in seinem Verdauungstrakt geheilt waren, musste er noch die operative Rückverlegung durchstehen. Nach jeder Operation hatte er so starke Schmerzen, dass er sich nachts auf dem Boden krümmte, und nach der operativen Rückverlegung des Darmausgangs kam als Komplikation eine Hepatitis hinzu. Gene Cassidy besuchte ihn ab und zu. Einmal nahm er seinen Sergeant auch zum Essen mit. Als McLarney sich gegen das klare Verbot der Ärzte ein Bier bestellen wollte, las ihm Cassidy die Leviten. Guter Mann, dieser Cassidy.
    In Baltimore gilt das ungeschriebene Gesetz, dass ein Polizist, der in Erfüllung seiner Pflicht angeschossen wurde, bei seiner Rückkehr in den Dienst jede Stelle besetzen kann, für die er qualifiziert ist. In dem Sommer, in dem McLarney sich darauf vorbereitete, wieder in die Uniform zu schlüpfen, ging Rod Brandner in Rente. Er stand in dem Ruf, einer der besten Sergeants zu sein, die das Morddezernat je gehabt hatte. Brandner hatte sich eine gute Truppe zusammengestellt, und er hatte für D’Addario gearbeitet, was bedeutete, dass McLarney unter einem Lieutenant Dienst tun würde, mit dem man es aushalten konnte.
    Bei seiner Rückkehr in den fünften Stock machte er kein Aufhebens von den Schüssen, die er abbekommen hatte; er erzählte die Geschichte nur ungern. Manchmal machte er sich auch über den Status lustig, den sie ihm verschaffte. Wenn die Vorgesetzten für dicke Luft sorgten, dann lächelte McLarney nur und schüttelte den Kopf. »Was können die mir schon wollen«, sagte er dann. »Mir, der ich schon mal im Dienst angeschossen worden bin.«
    Mit der Zeit wurde das ein Standardwitz in ihrer Schicht. WennMcLarney mit steinerner Miene aus einer Besprechung im Büro des Captains kam, lieferte ihm Landsman bereitwillig das Stichwort.
    »Hat der Captain dir den Kopf gewaschen, Terry?«
    »Nein, kann ich nicht sagen.«
    »Was hast du gemacht? Ihm deine Narben gezeigt?«
    »Genau.«
    »So ist’s richtig. Jedes Mal, wenn sich der Captain aufspielt, knöpft McLarney einfach sein Hemd auf.«
    Dabei war er gar nicht stolz auf diese Narben. Mit der Zeit ging er Gesprächen über den Vorfall aus dem Weg, als sei es für ihn das Unverantwortlichste, das er je gemacht hatte. Seinem Sohn Brian, der damals acht war, erzählten die Eltern, sein Vater sei die Treppe hinuntergefallen. Aber am nächsten Tag belauschte der Junge ein Telefongespräch zwischen McLarneys Vater und einem Freund der Familie. Anschließend ging er in sein Zimmer und warf seine Spielsachen gegen die Wand. Mit einem Jungen in seinem Alter, erzählte McLarney später Freunden, hatte ich kein recht, mich abknallen zu lassen.
    Am Ende fand er doch noch etwas, auf das er stolz sein konnte, etwas, das eher ein Nebenumstand war. Als ihn die Kugeln in der Arunah Avenue getroffen hatten, war Terrence McLarney nicht zu Boden gegangen. Er hatte seinen Mann gestanden und die Schüsse erwidert, bis sein Gegner am Boden lag. Raeford Barry Footman, neunundzwanzig Jahre alt, starb zwei Tage

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