Homo ambrosius (Die Chimären) (German Edition)
aufzusteigen. Vielleicht wäre sogar später der Ritterschlag drin. Sir Bob Bloth, das hörte sich gut an. Das würde sich vor allem gut anfühlen.
Als sich die Tür am Ende des Gangs öffnete, holte er tief Luft, zog seine Uniformjacke stramm und betrat entschlossen den Raum. In seinem Körper baute sich eine Spannung auf, die alle seine Instinkte schärfte, kurz blitzte sogar der Gedanke auf, umzudrehen und davonzulaufen. Natürlich blieb er.
Der Raum war vollständig abgedunkelt. Er sah ein Rednerpult, dessen leere Ablagefläche von einer Leselampe erleuchtet war. Am rechten Rand stand ein Glas Wasser. In der Mitte schimmerte eine Leuchtdiode. Als er an das Rednerpult trat, unterdrückte er den Drang, sich mit beiden Händen daran festzuhalten. Auch das Glas Wasser ignorierte er – obwohl sein Mund plötzlich trocken war, krampfhaft schluckte er.
Er wusste, dass vor ihm im Dunkeln mehrere Personen saßen, er hörte ihr Atmen, Rascheln, Flüstern. Politiker und Militärs, vermutlich war auch der ein oder andere Regierungsvertreter dabei. Zwei, drei Mitarbeiter des psychologischen Dienstes. Sie sahen sein Gesicht und seinen Oberkörper, er sah sie nicht. Das ganze Arrangement war dazu da, ihn unter Druck zu setzen.
„Wie beurteilen Sie die Risiken eines Cyberwars? Strukturieren Sie Ihre Argumentation so, dass auch ein Laie Ihre Überlegungen nachvollziehen kann. Sie haben eine Minute zur Vorbereitung. Beginnen Sie, wenn die Leuchtdiode vor Ihnen grün aufleuchtet, enden Sie innerhalb von zehn Sekunden, wenn sie rot aufleuchtet.“
Die Stimme kam von rechts, weiblich. Vermutlich eine Mitarbeiterin des psychologischen Dienstes. Keine persönliche Ansprache, keine Höflichkeitsformel. Er lächelte. Cyberwar, das war sein Spezialgebiet. Es war von Vorteil, wenn man Freunde an der richtigen Stelle hatte, solche, die auf die Fragestellungen Einfluss nehmen konnten. Die Lampe schalte auf Grün.
„Unter einem Cyberwar verstehen wir im MI6 Angriffe auf Computersysteme und die von ihnen verwalteten Daten. Sie können von der Manipulation bis zur Zerstörung dieser Systeme reichen. Unsere Welt ist hochgradig automatisiert, computergesteuerte Assistenz- und Robotersysteme sind nicht mehr wegzudenken. Fünfundneunzig Prozent des öffentlichen Verkehrs in Europa ist vollständig automatisiert. Roboter pflegen und betreuen Neugeborene sowie kranke und alte Menschen. Sie organisieren den Haushalt, regeln die Lebensmittelproduktion und produzieren Industrie- und Konsumgüter sowie Medikamente.
Diese Systeme steuern die Verteilung der Güter und die Versorgung der Bevölkerung. Bei einem Cyberangriff sind sie das primäre Ziel, denn ihr Ausfall erzeugt nicht nur einen beträchtlichen volkswirtschaftlichen Schaden, sondern beeinflusst auch die Moral der Bevölkerung erheblich.
Das zweite primäre Ziel sind die zentralen Datenbanksysteme von IMIAS. Das Intelligent Men Identification & Administration System ist mittlerweile weltweit das alleinige Verwaltungssystem für individuelle personenbezogene Daten. Mit IMIAS werden alle Daten eines Staates von der Einwohnerkontrolle bis zur Steuerbehörde verwaltet.
Seit 2031 wird jedem mit Erreichen des sechsten Lebensjahres ein Personal Identification Chip, der PID-Chip, implantiert. Damit ist jeder Mensch jederzeit identifizierbar und sämtliche Informationen, von der Geburtsurkunde über sein Genom bis zum letzten Arztbesuch, sind weltweit quasi auf Knopfdruck verfügbar. Der gläserne, digitalisierte Mensch bringt etliche Vorteile, doch die Risiken, die mit einer Datenmanipulation oder Datenlöschung verbunden sind, dürfen nicht unterschätzt werden. Die Sicherheitsvorkehrungen und Sicherheitseinrichtungen sind heute so ausgefeilt, dass nur sehr große Organisationen, sprich Staaten, in der Lage wären, die Mittel und die Experten zusammenzubringen, um tatsächlich einen schwerwiegenden Schaden zu verursachen.“
Die Leuchtdiode wechselte von Grün auf Rot.
„Ein Cyberwar, also das gezielte Ausschalten von Computersystemen, die Manipulation und Löschung von Daten, ist möglich. Aber zunehmend unwahrscheinlich, da ein Angreifer weltweit agieren müsste, um einen wirklich schweren Schaden zu verursachen. Die Wahrscheinlichkeit eines umfassenden, echten Cyberwars liegt meines Erachtens nahezu bei null. Cyberangriffe parallel zur konventionellen Kriegsführung sind dagegen militärischer Standard.“
Seine linke Hand lag inzwischen auf dem Rednerpult, sein myCom, das er am
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