Homo ambrosius (Die Chimären) (German Edition)

was meinst du, Harald? Getränke habe ich genug, der ganze Keller ist voll.“
    „Na, das ist doch schon ein Lichtblick. Klar, ich sag allen, die ich sehe, Bescheid. Du weißt also noch nicht mehr?“
    Brian schaute automatisch auf seinen linken Unterarm, wo er normalerweise sein myCom trug. Wie jeder Computer war das myCom seit dem 7. Juni außer Betrieb. Er erwischte sich ständig dabei, wie er über seinen Unterarm strich in der Erwartung, dass sein myCom plötzlich wieder aktiv wurde – dabei hatte er es vor zwei Tagen abgelegt. Der absolute Nachrichten- und Informationsentzug machte ihn nervös. Diese Entzugserscheinungen kannte er bisher nur aus diversen Studien über die Auswirkung des myComs auf die menschliche Psyche und Gesundheit, dabei hätte es auch ruhig bleiben können.
    Vor rund dreißig Jahren waren die myComs – eine Weiterentwicklung der Smartphones – auf den Markt gekommen. Für seinen Träger war das myCom alles: Kommunikationsinstrument, persönlicher Computer, Entertainment Center und persönliche Datenbank. Wer es sich leisten konnte, installierte Assistenzsysteme, die unter anderem die Bedienung von Fahrzeugen und Maschinen ermöglichten, Herzschrittmacher oder implantierte Medikamentenspeicher steuerten, Mehrsprachigkeit und den Zugriff auf alle möglichen Datenbanken sicherstellten. Das myCom verschaffte seinem Träger Zugang zu jeglicher verfügbaren Technologie. Kein Wunder also, dass die myCom-Menschen sich ohne myCom hilflos und isoliert fühlten.
    Brian hatte eigentlich Urlaub, aber vor zwei Tagen hatte ein Soldat auf einem historischen, benzingetriebenen Motorrad vor seinem Haus gehalten und ihm einen Lagebericht zugestellt sowie den Befehl, sich bereitzuhalten. Alles auf Papier und ganz offensichtlich mit einer manuellen Schreibmaschine geschrieben.
    „Wir haben die Bestätigung, dass es ein weltweites Phänomen ist. Kennst du den alten Rigsby?“, fragte Brian seinen Nachbarn.
    „Den Funker? Der Rigsby mit der großen Antenne auf dem Dach? Klar, hab ihn eine Ewigkeit nicht mehr gesehen.“
    „Ich hab den alten Eigenbrötler gestern Abend kennengelernt. Ein Ingenieur alter Schule. Sein Haus ist eine einzige große Werkstatt und er ist energietechnisch vollkommen autonom. Der Bürgermeister hat nach mir geschickt, als Rigsby Kontakt zu einer Einheit der Armee herstellte.“
    „Und? Wie schlimm ist es?“
    „Rigsby hat zu achtunddreißig Funkern Kontakt. Neun davon auf der Insel, die anderen auf dem europäischen Kontinent. Überall die gleiche Situation. Mit der Armee hatten wir nur kurz Kontakt. Sie bestätigten den weltweiten Ausfall aller Computersysteme und wollen, dass wir die Verbindung aufrechterhalten.“
    „Mehr nicht? Kein Hinweis auf den Grund? Ein Krieg vielleicht?“
    „Offiziell kein Krieg, aber der Ausnahmezustand ist ausgerufen. Die waren gestern Abend nicht sehr gesprächig.“
    Die beiden Männer schwiegen und sahen den Schwalben nach. „Die brauchen keine Computer, um satt zu werden, Brian. Wenn die Regierung den Ausfall nicht schleunigst behebt, kriegen wir echte Probleme. Ich frag mich, wie das überhaupt möglich ist, dass alle Computersysteme ausfallen.“
    Über diese Frage grübelte Brian schon seit sechs Tagen, denn die Antwort darauf war eigentlich: Es ist unmöglich! Und die echten Probleme , die Harald andeutete, waren längst eingetreten, sie waren nur noch nicht bis zu ihrer beschaulichen Gartensiedlung vorgedrungen.

Das Sitzungszimmer im Gemeindehaus war bis zum Bersten gefüllt. Brian zählte achtundfünfzig Personen. Es gab nicht genug Stühle für alle, und so stand etwa die Hälfte der Leute an der Wand gelehnt, wie auch er. Er kannte nicht allzu viele persönlich. Er erkannte den protestantischen Pfarrer, den Feuerwehrkommandant, mehrere Polizisten und einen Chinesen, der vermutlich die Landarbeitersiedlung in der unmittelbaren Nachbarschaft ihrer Gemeinde vertrat.
    Der Bürgermeister stand auf und die lebhaften Gespräche im Raum verstummten. Der Bürgermeister hatte Brian gestern Abend, als sie beim alten Rigsby waren, zur Lagebesprechung eingeladen. Die tägliche Lagebesprechung hatte der Bürgermeister vor vier Tagen eingeführt, Brian nahm nun zum ersten Mal daran teil.
    „Meine Damen und Herren, danke, dass Sie gekommen sind. Wir hatten gestern Abend über Funk Kontakt mit einer Einheit der Armee. Sie bestätigte uns, dass Großbritannien sich im Ausnahmezustand befindet. Die Lage ist so unübersichtlich, dass wir wohl