Honeymoon
Sanitäter, die Polizei, der Leichenwagen – alle verschwunden. Endlich hatte Nora das Haus für sich allein.
Jetzt war es Zeit, Nägel mit Köpfen zu machen. Das war der Punkt, an dem es für die Polizisten wirklich interessant geworden wäre. Doch sie würden nie dahinter kommen.
Connors Arbeitszimmer war am anderen Ende des Hauses, praktisch in einem eigenen Flügel gelegen. Gleich nachdem sie sich kennen gelernt hatten, hatte Nora es gemäß seinen Anweisungen im Stil eines privaten Herrenclubs eingerichtet: Sofas mit gestepptem Lederbezug, Kirschholzregale, Ölgemälde mit Jagdmotiven, die zurzeit bei den Jungs extrem angesagt waren. In einer Ecke stand eine komplette Ritterrüstung. In der anderen eine Vitrine mit einer Sammlung alter Schnupftabakdosen. Dieser ganze überteuerte Schrott. Ich weiß, wovon ich rede.
Nachdem sie mit dem Arbeitszimmer fertig gewesen war, hatte Nora gescherzt: »Dieser Raum ist jetzt schon so maskulin, dass es sich eigentlich erübrigt, hier drin Zigarren zu rauchen.«
Jetzt fand sie sich ironischerweise ganz allein in dem Zimmer. Und – irgendwie vermisste sie Connor.
Sie setzte sich auf den Gainsborough-Stuhl hinter Connors Schreibtisch und fuhr den Computer hoch. Connor hatte eine dieser Konfigurationen mit drei Monitoren, die ihm erlaubte, das Geschehen auf mehreren Finanzmärkten parallel zu verfolgen. Es sah aus, als könnte er von seinem Schreibtisch aus einen Angriff mit Cruise Missiles starten. Oder zumindest ein paar Jumbojets landen.
Das erste Passwort, das Nora eingab, war das für seine T3-Internetverbindung. Als Nächstes kam der Code für sein verschlüsseltes 128-Bit-VPN oder
Virtual Private Network
– für Laien: die absolut sicherste Verbindung zwischen zwei Punkten im Cyberspace.
Punkt eins war Connors Computer.
Punkt zwei war die International Bank of Zurich.
Nora hatte vier Monate gebraucht, um an den VPN-Code heranzukommen. Hinterher war ihr klar geworden, dass sie es eigentlich in vier Minuten hätte schaffen können. Aber sie hätte nie gedacht, dass er so unbedarft sein könnte, den Code in seinen Palm einzutragen. Und auch noch unter »B« wie Bankkonten.
Natürlich war er nicht so naiv gewesen, offen zu legen, welches Konto zu welchem Code gehörte. Dazu waren einige nächtliche Sitzungen am Computer erforderlich gewesen, als Connor schon friedlich in seinem Bett geschlafen hatte.
Angesichts der Hürden, die zu überwinden waren, um Connors Schweizer Bankkonto anzapfen zu können – und angesichts des Reichtums und der Privilegien, die sich mit dem Besitz eines solchen Kontos verbanden –, war Nora erstaunt zu sehen, wie schlicht und unaufdringlich die Seite für die Buchungsvorgänge bei der International Bank of Zurich gestaltet war. Keine typografischen Eskapaden, keine beruhigende Hintergrundmusik von Arthur Honegger.
Nur drei Optionen, in einfacher Schrifttype untereinander gesetzt, das war die ganze Seite.
EINZAHLUNG.
ABHEBUNG.
ÜBERWEISUNG.
Nora klickte ÜBERWEISUNG an und wurde sofort zu einer anderen Seite weitergeleitet, die ebenso einfach gestaltet war. Hier war Connors Kontostand aufgeführt, daneben ein Feld für die Eingabe der gewünschten Überweisungssumme.
Sie tippte die Zahl ein.
Auf dem Konto waren 4,3 Millionen Dollar. Sie nahm sich etwas weniger. 4,2 Millionen, um genau zu sein.
Jetzt musste sie nur noch festlegen, wohin das Geld gehen sollte.
Connor war nicht der Einzige, der über ein VPN verfügte.
Nora gab den Code für ihr privates Nummernkonto auf den Cayman-Inseln ein. Dank Mr Steven Keppler, dem lüsternen Steueranwalt, würde es im großen Stil eingeweiht werden.
Sie schickte den Befehl ab und lehnte sich in Connors Stuhl zurück. Auf dem Bildschirm erschien ein horizontaler Balken, dessen allmähliche Einfärbung von links nach rechts den Fortgang der Überweisung anzeigte. Sie legte die Füße auf den Schreibtisch und sah zu, wie der Farbbalken langsam wuchs.
Zwei Minuten später war es offiziell. Nora Sinclair war 4,2 Millionen Dollar reicher.
Ihr zweiter Coup an diesem Tag.
22
Am nächsten Morgen wachte sie auf und tappte gähnend die Treppe hinunter in die Küche, um Kaffee zu kochen. Eigentlich fühlte sie sich gar nicht so schlecht. Nora fühlte überhaupt sehr wenig.
Nachdem sie die erste Tasse hinuntergekippt hatte, begann sie den Tag zu planen. Es gab einiges zu erledigen. Zunächst musste sie verschiedene Leute anrufen und von Connors Tod in Kenntnis setzen. Bei Jeffrey musste sie auch
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