Honeymoon
Boden. »Ich fürchte, wir haben gerade offiziell die Grenze vom gemütlichen Herumsitzen zum absichtlichen Trödeln überschritten«
Sie drehte sich um und sah, was ich meinte. »Sie haben Recht«, meinte sie mit einem verlegenen Lächeln. »Wir sollten lieber verschwinden, bevor der Bursche uns noch zusammen mit den Brotkrümeln rausfegt.«
Ich bedeutete unserem Ober, dass wir zahlen wollten, was er mit sichtlicher Erleichterung registrierte. Die dreißig Prozent Trinkgeld, die ich zurückließ, ermöglichten uns einen Abgang ohne allzu schlechtes Gewissen – wenngleich keinen allzu nüchternen. Bei Nora war das nicht weiter verwunderlich, so zierlich und gertenschlank wie sie war. Aber trotz meiner gut dreißig Kilo mehr Masse spürte auch ich die Wirkung des Alkohols.
»Wie wär's mit einem kleinen Verdauungsspaziergang?«, schlug ich vor, als wir das Lokal verließen.
Ich war erleichtert, als sie auf den Vorschlag einging. Im Dienst trinken war eine Sache, im Dienst alkoholisiert Auto fahren eine andere. Ein bisschen frische Luft, und ich wäre ganz bestimmt wieder auf der Höhe.
»Vielleicht sehen wir ja die Clintons«, flötete Nora. »Die wohnen hier ganz in der Nähe.«
Ich beschloss, nicht auf die Anspielung einzugehen. Es wäre zu leicht gewesen. Wir schlenderten an den Schaufenstern diverser Läden vorbei. Vor einem Handarbeitsgeschäft namens
The Silver Needle
blieb ich stehen.
»Das erinnert mich an meine Mutter«, sagte ich. »Sie strickt für ihr Leben gern.«
»Was macht sie denn so alles?«, fragte Nora. Sie konnte überraschend gut zuhören und war längst nicht so ichbezogen, wie ich geglaubt hatte.
»Das Übliche. Socken, Sofakissen, Pullis. Ich weiß noch, als ich auf der Highschool war, hat sie mir einmal für Weihnachten gleich
zwei
Pullis gestrickt, einen roten und einen blauen.«
»Wie süß.«
»Ja, aber Sie kennen meine Mutter nicht«, entgegnete ich mit erhobenem Zeigefinger. »Da erscheine ich mit dem roten Pulli zum Weihnachtsessen – und was sagt sie?
Wie, gefällt dir der blaue etwa nicht?
«
Nora knuffte mich spielerisch in die Schulter. »Das haben Sie jetzt aber erfunden!«
Ja, stimmt.
»Nein, ehrlich, es ist wahr«, sagte ich. Wir gingen weiter. »Und Ihre Mutter? Strickt sie auch?«
Noras Miene verdüsterte sich plötzlich. »Meine Mutter... meine Mutter ist vor einigen Jahren gestorben.«
»Das tut mir Leid.«
»Ist schon okay. Sie war eine tolle Mutter, solange ich sie hatte.«
Wir gingen nun schweigend nebeneinander her.
Ich schüttelte den Kopf. »Was habe ich da nur wieder angestellt?«
»Was meinen Sie?«
»Jetzt habe ich uns den ganzen Abend verdorben – dabei haben wir uns bis vorhin so prächtig amüsiert.«
»Nun reden Sie doch keinen Unsinn«, entgegnete Nora und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich amüsiere mich immer noch prächtig. So gut wie schon lange nicht mehr, wenn Sie's genau wissen wollen. Das habe ich dringend gebraucht.«
»Ach, das sagen Sie jetzt nur, um mich aufzumuntern.«
»Nein, ich sage es, weil
Sie
mich aufmuntern. Sie können sich ja leicht vorstellen, wie furchtbar die letzten Wochen für mich waren. Und dann kamen Sie daher – aus heiterem Himmel.«
»Ja, nur dass ich's Ihnen eher
noch
schwerer gemacht habe.«
»Zuerst schon«, sagte sie. »Aber inzwischen ist mir klar, dass ich Sie anfangs ganz falsch eingeschätzt habe.«
Ich gab mir alle Mühe, angesichts der Ironie dieser Feststellung keine Miene zu verziehen. Wir blieben an einer roten Fußgängerampel stehen. Die Nachmittagssonne begann gerade hinter den Bäumen zu versinken. Nora verschränkte die Arme vor der Brust und fröstelte leicht. Sie wirkte fast ein wenig verletzlich.
»Warten Sie«, sagte ich. Ich zog mein Jackett aus und drapierte es über ihre Schultern. Als sie die Revers zusammenzog, berührten unsere Hände sich flüchtig. Die Ampel sprang auf Grün, doch wir machten keine Anstalten, die Straße zu überqueren. Wir standen einfach nur da und sahen uns in die Augen.
»Ich will nicht, dass es schon vorbei ist«, sagte sie. Dann beugte sie sich vor und flüsterte mir ins Ohr: »Lassen Sie uns doch noch woanders hingehen, okay?«
69
Ich musste kein Casanova sein, um zu kapieren, was sie meinte. Lassen Sie uns doch noch woanders hingehen. Selbst der naivste Bauerntrampel hätte den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden. Nora sprach nicht etwa davon, dass wir irgendwo einen Kaffee trinken sollten, um wieder einen klaren Kopf zu
Weitere Kostenlose Bücher