Hongkong 02 - Noble House Hongkong
keine im Haus sein.« Dunross lachte, und sie sah die Müdigkeit in seinen Augen. »Kurz vor dem Ersten Weltkrieg machte ein Reporter des China Guardian eine Aufnahme von ihr. Binnen einer Stunde schickte sie eine bewaffnete Crew von einem ihrer Handelsschiffe mit dem Auftrag in die Redaktion, das Haus niederzubrennen, wenn man ihnen nicht das Negativ und alle Kopien aushändigte und wenn der Herausgeber nicht versprechen wollte, sie nie wieder zu belästigen. Er versprach es.«
Casey sah sich die Halskette genauer an. »Ist das Jade?« fragte sie.
»Smaragde.«
Sie machte große Augen. »Die muß ein Vermögen wert gewesen sein.«
»Dirk Struan vermachte ihr die Kette. Sie sollte der jeweiligen Frau des Tai-Pan von Noble House gehören, ein Erbstück, von Dame an Dame weiterzureichen.« Er verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. »Die ›Hexe‹ behielt die Kette ihr Leben lang und befahl, als sie starb, daß sie mit ihr verbrannt werde.«
»So eine Verschwendung!«
»Nein«, entgegnete Dunross mit veränderter Stimme. »Fast fünfundsiebzig Jahre stand sie an der Spitze von Struan’s Noble House. Sie war der Tai-Pan, der wirkliche Tai-Pan, auch wenn andere den Titel führten. Sie behauptete sich gegen Feinde und Katastrophen, bewahrte Dirks Vermächtnis, vernichtete die Brocks und tat, was erforderlich war. Vor diesem Hintergrund gesehen, was wiegt so eine lächerliche Kette, die vermutlich sowieso nichts gekostet hatte? Sehr wahrscheinlich kam sie aus der Schatzkammer eines Mandarins, dessen Leibeigene mit ihrem Schweiß dafür bezahlten.«
Casey sah, wie er in Tess Struans Gesicht starrte. »Ich kann nur hoffen, daß ich auch so tüchtig bin«, murmelte er zerstreut, und es klang, als sagte er es zu ihr, zu dem Mädchen auf dem Bild.
Ihre Augen streiften an Dunross vorbei zum Bild Dirk Struans, und auch ihr fiel die unheimliche Ähnlichkeit auf, eine Ähnlichkeit, die alle zehn Bilder – neun Männer und das Mädchen – miteinander verband, die hier zwischen verschieden großen Landschaften von Hongkong, Schanghai, Tientsin und vielen Seestücken schmucker, schnittiger Klipper aus Struan’s Handelsflotte an den Wanden hingen. Auf dem Porträt jedes Tai-Pan war eine kleine Messingplatte mit seinem Namen und den Jahren seiner Lebenszeit angebracht: »Dirk Dunross, 4. Tai-Pan, 1852–1894, mit der ganzen Besatzung der Sunset Cloud im Indischen Ozean auf See geblieben …«
»Sir Lochlin Struan, 3. Tai-Pan, 1841–1915« … »Alastair Struan, 9. Tai-Pan, 1900–« …
»Ross Lechie Struan, 7. Tai-Pan, 1887–1915, Hauptmann im Royal-Scots-Regiment, in der Schlacht bei Ypern gefallen« …
»Soviel Geschichte«, sagte sie sinnend; es schien ihr an der Zeit, seinem Denkprozeß eine andere Richtung zu geben.
»Viel – das ist wahr«, stimmte er ihr zu und sah sie an.
»Haben Sie sich auch schon malen lassen?«
»Nein. Es hat ja keine Eile.«
»Wie wird man Tai-Pan?«
»Man wird von seinem Vorgänger ausgewählt. Die Entscheidung liegt bei ihm.«
Sie ließ ihre Blicke weiterwandern. Ein kleines Bild fesselte ihre Aufmerksamkeit.
»Wer ist das?« fragte sie beunruhigt. Der Mann war ein mißgestalteter, buckliger Zwerg mit eigenwilligen Augen und einem höhnischen Lächeln. »War das auch ein Tai-Pan?«
»Nein. Das war Stride Orlov, Dirks erster Kapitän. Als der Tai-Pan im großen Taifun umkam und Culum das Steuer übernahm, wurde Stride Orlov Admiral der Klipperflotte. Er soll ein großer Seemann gewesen sein.«
»Tut mir leid«, sagte Casey, »aber er hat etwas an sich, das jagt mir eine Gänsehaut über den Rücken.« In Orlovs Gürtel steckten Pistolen, und im Hintergrund war ein Klipperschiff zu sehen. »Es ist ein Gesicht, das mir Angst macht.«
»So wirkte er auf alle – ausgenommen den Tai-Pan und die ›Hexe‹! Angeblich hat sogar Culum ihn gehaßt.«
»Was hat ihr denn so gut an ihm gefallen?«
»Man erzählt sich, daß Devil Tyler unmittelbar nach dem großen Taifun, als die Menschen in Hongkong, Culum eingeschlossen, noch damit beschäftigt waren, die Scherben wegzuräumen, daranging, Noble House an sich zu reißen. Er gab Befehle, übernahm die Leitung, behandelte Culum und Tess wie Kinder … Er schickte Tess auf sein Schiff, die White Witch, und wies Culum an, bei Sonnenuntergang an Bord zu sein, sonst würde es ihm schlecht ergehen. Für Tyler war Noble House jetzt Brock-Struan und er der Tai-Pan. Culum aber – man weiß bis heute nicht, wo er den Mut dazu
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