Hongkong 02 - Noble House Hongkong
wäre schon damals, in ihrer embryonalen Phase sozusagen, der Tai-Pan gewesen.
»Sie sind sehr großzügig«, unterbrach Dunross den Fluß ihrer Gedanken.
Auf diese Bemerkung war sie vorbereitet. »Nein«, protestierte sie sofort und dachte: Wenn du die Wahrheit wissen willst, Tai-Pan, ich bin überhaupt nicht großzügig.
Aber das sprach sie nicht aus, senkte nur die Augen und murmelte bescheiden: »Sie sind der Großzügige.«
Er nahm ihre Hand, beugte sich darüber und küßte sie mit altväterlicher Galanterie.
Sie bemühte sich, ihre Überraschung zu verbergen. Noch nie hatte ein Mann ihr die Hand geküßt.
»Ciranoush«, sagte er mit gespielter Feierlichkeit, »wann immer Sie einen Fürsprecher brauchen, wenden Sie sich an mich!« Plötzlich grinste er. »Ich mache vermutlich einen Kuddelmuddel daraus, aber das wird Sie ja nicht stören.«
Sie lachte, und alle Spannung war gelöst. Sie konnte ihn jetzt sehr gut leiden. »Ich komme darauf zurück.«
Leger legte er seinen Arm um ihre Mitte und schob sie sanft auf die Treppe zu. Sie empfand seine Berührung angenehm – zu angenehm, dachte sie. Das ist schon ein großer Junge, sei vorsichtig, ermahnte sie sich.
15
23.58 Uhr:
Mit quietschenden Bremsen kam Philip Tschens Rolls in der Auffahrt vor seinem Haus zum Stehen. Rot vor Wut, eine nervöse Dianne im Schlepp, kletterte er aus dem Fond. »Verriegle das Tor und komm dann herein!« fuhr er seinen ebenso nervösen Chauffeur an und eilte zur Eingangstür.
»Beeil dich, Dianne«, sagte er und steckte hastig den Schlüssel ins Schloß.
»Was ist denn los, Philip? Warum redest du nichts? Warum …«
»Halt den Mund!« ging sein Temperament mit ihm durch, und sie blieb geschockt stehen. »Halt den Mund und tu nur, was man dir sagt!« Er stieß die Tür auf. »Hol’ die Dienstboten!«
»Aber Phi …«
»Ah Sun! Ah Tak!«
Die beiden zerzausten, verschlafenen amahs kamen aus der Küche gelaufen. Von seiner unverständlichen Wut geängstigt, starrten sie ihn an: »Ja, Vater? Ja, Mutter?« riefen sie im Chor. »Was im Namen aller Götter …«
»Seid still!« brüllte Philip Tschen, sein Nacken rot und sein Gesicht jetzt noch röter.
»Geht in das Zimmer da hinein und bleibt drin, bis ich euch sage, daß ihr wieder herauskommen könnt!« Er stieß die Tür zum Eßzimmer auf, dessen Fenster auf die Auffahrt hinausgingen und auf die Straße, die nach Norden führte. »Wenn nur eines von euch sich bewegt oder aus dem Fenster schaut, bevor ich zurückkomme. Dann lasse ich euch von einem Freund Gewichte an die Füße hängen und euch in den Hafen werfen!«
Die beiden amahs begannen zu heulen, aber sie gehorchten, und er knallte die Tür hinter ihnen zu.
»Hört auf, ihr beiden!« fuhr Dianne Tschen die amahs an, langte hin und kniff die eine in die Wange. Die Alte hörte auf zu jammern und stieß mit rollenden Augen keuchend hervor: »Was ist denn in ihn gefahren? Oh, oh, oh, seine Wut reicht bis nach Java … oh, oh, oh …«
»Halt den Mund, Ah Tak!« Außer sich vor Wut, fächelte sich Dianne Kühlung zu.
Was, im Namen aller Götter, war denn nun wirklich in ihn gefahren? Vertraut er mir nicht, mir, der einzigen wahren Liebe seines Lebens? Noch nie hat er … und rennt von der Party des Tai-Pan weg, wo doch alles so gut lief? Wo wir doch das Stadtgespräch von Hongkong sind, und alle meinen Kevin bewundert und ihm schöngetan haben! » Ayeeyah « , murmelte sie, »ist er verrückt geworden?«
»Jawohl, Mutter«, erklärte der Chauffeur überzeugt. »Ich glaube schon. Es ist wegen des Kidnapping. In meinem ganzen Leben hat Vater noch nie …«
»Wer hat dich gefragt?« schrie Dianne. »Es ist sowieso alles nur deine Schuld! Hättest du meinen armen John heimgebracht, statt ihn seinen glattzüngigen Huren zu überlassen, wäre das alles nicht passiert!«
Wieder fingen die beiden amahs an zu winseln, und nun ließ Dianne ihre Wut an den beiden alten Frauen aus: »Und was euch beiden angeht, so wie ihr euren Dienst verseht, könnte einem übel werden. Habt ihr mich schon gefragt, ob ich ein Abführmittel brauche oder ein Aspirin? Oder Tee?«
»Mutter«, erwiderte die eine beschwichtigend und deutete hoffnungsvoll auf das lackierte Büffet, »ich kann dir Tee machen, aber möchtest du nicht lieber einen Brandy?«
»Was? Ja, sehr gut. Ja, ja. Ah Tak.«
Sogleich eilte die Alte geschäftig zum Büffet, holte einen Kognak heraus, von dem sie wußte, daß ihre Herrin ihn gerne trank, und schenkte
Weitere Kostenlose Bücher