Hongkong 02 - Noble House Hongkong
zu meiner nächsten Verabredung mitnehmen – es könnte für Sie interessant sein. Wir können nachher gemeinsam essen, wenn Sie nichts Besonderes vorhaben.«
»Das wäre herrlich. Ich will mal sehen.«
Er hörte, wie sie seinen Vorschlag wiederholte, und fragte sich, wie seine Wette mit Claudia ausgehen werde. Es ist unmöglich, daß die beiden kein Verhältnis haben oder gehabt haben, dachte er. Es wäre geradezu unnatürlich.
»Wir kommen sofort, Tai-Pan.« Er hörte das Lächeln in ihrer Stimme.
Der Erste Oberkellner wartete jetzt auf die seltene Ehre, den Tai-Pan zu einem Tisch führen zu dürfen. Er war vom Zweiten Oberkellner in dem Augenblick geholt worden, als bekannt wurde, daß Dunross sich der Eingangstür näherte. Er hieß Nachmittag Pok, war grauhaarig und majestätisch und regierte seine Schicht mit eiserner Faust.
»Oh, Ehrenwerter Herr«, sagte der alte Mann auf Kantonesisch mit einer Verbeugung. »Es ist eine Ehre für uns. Haben Sie heute Reis gegessen?« Es war die höfliche Form einer chinesischen Begrüßung.
»Ja, danke, Älterer Bruder«, antwortete Dunross. Er kannte Nachmittag Pok beinahe, seit er auf der Welt war. Nachmittag Pok hatte als Oberkellner von zwölf bis sechs in der Halle Dienst gemacht, und wenn der Knabe Ian Dunross, die Kehrseite noch gerötet von einer Züchtigung, mit einem Auftrag ins Hotel geschickt worden war, hatte ihn der freundliche Mann an einen Ecktisch gesetzt, ihm eine Süßspeise gebracht, ihm über den Kopf gestrichen und nie eine Rechnung vorgelegt. »Sie sehen blühend aus.«
»Danke, Tai-Pan! Sie sehen ebenfalls sehr gesund aus! Aber Sie haben noch immer nur einen Sohn! Glauben Sie nicht, es wäre an der Zeit, daß Ihre Verehrte Hauptfrau eine zweite Frau für Sie sucht?«
Beide lächelten. »Bitte folgen Sie mir«, sagte der alte Mann gravitätisch und führte ihn zu einem Tisch, der wie durch ein Wunder an einer großen freien Stelle aufgetaucht war. Vier energische Kellner hatten die anderen Gäste und deren Tische einfach zur Seite geschoben. Jetzt hatten sie alle beinahe militärische Haltung angenommen und grinsten über das ganze Gesicht.
»Wie gewöhnlich, Sir?« fragte der Weinkellner. »Ich habe eine Flasche von dem Zweiundfünfziger.«
»Ausgezeichnet.« Dunross wußte, daß es sich um den La Doucette handelte, den er so gern trank. »Ich erwarte Mister Bartlett und Miss Tcholok.« Ein Kellner ging sofort zum Aufzug, um sie in Empfang zu nehmen.
»Wenn Sie etwas brauchen, rufen Sie mich bitte!« Nachmittag Pok verbeugte sich und ging davon. Dunross setzte sich und entdeckte Peter und Fleur Marlowe, die versuchten, zwei hübsche Mädchen von vier und acht Jahren im Zaum zu halten. Er holte tief Atem und dankte Gott, daß seine Töchter über dieses Alter hinaus waren.
Während er den Wein anerkennend kostete, bemerkte er, daß der alte Willie Tusk zu ihm herüberwinkte. Er winkte zurück.
Als er ein Junge war, brachte er zwei- oder dreimal wöchentlich Geschäftsorder für Tusk von Hongkong herüber. Sie kamen vom alten Sir Ross Struan, Alastairs Vater, oder von Dunross’ Vater, der seit Jahren die Auslandsabteilung von Noble House leitete. Gelegentlich verrichtete Tusk Kundendienste für Noble House auf Gebieten, auf die er spezialisiert war – wenn es darum ging, etwas aus Thailand, Burma oder Malaya herauszubringen und irgendwohin zu verschiffen. Er erhielt dafür ein geringes h’eung yau und seine übliche Vergütung von siebeneinhalb Prozent.
»Wofür ist das halbe Prozent, Onkel Tusk?« hatte Ian einmal gefragt und zu dem Mann aufgeblickt, den er jetzt überragte.
»Ich nenne es mein Püppchengeld, Junge.«
»Was ist Püppchengeld?«
»Ein bißchen zusätzliches Geld, das man Püppchen schenkt – Damen, die einem gefallen.«
»Aber warum gibt man Damen Geld?«
»Nun, das ist eine lange Geschichte, mein Junge.«
Dunross lächelte vor sich hin. Ja, eine sehr lange Geschichte. Bei diesem Teil seiner Erziehung hatte er verschiedene Lehrerinnen gehabt, manche gute, manche sehr gute und manche schlechte. Onkel Tschen-tschen hatte ihm seine erste Geliebte zugeführt, als er vierzehn war.
»Meinst du es wirklich ernst, Onkel Tschen-tschen?«
»Ja, aber du darfst es niemandem erzählen, sonst reißt mir dein Vater den Kopf ab. Eigentlich hätte dein Vater das arrangieren oder mich darum bitten sollen, es zu arrangieren.«
»Aber wenn ich es tue … bist du ganz sicher? Ich meine, wieviel zahle ich und wann, Onkel
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