Hongkong 02 - Noble House Hongkong
nichts an, aber der Streit muß sehr ernst gewesen sein, denn er endete anscheinend mit einem endgültigen Bruch. Ein guter Freund von Grey erzählte einem unserer Leute, daß Robin Grey seines Wissens keine lebenden Verwandten hat. Sie müssen einander wirklich hassen.«
Sir Geoffrey starrte in seine Tasse, ohne sie zu sehen. »Die Menschen verhalten sich scheußlich zueinander«, murmelte er traurig. »Ich weiß. Familienstreitigkeiten brechen so leicht aus. Und dann, wenn es zu spät ist, bedauert man es. Die Menschen benehmen sich schrecklich zueinander.«
Crosse beobachtete ihn und wartete, ließ ihn reden, war bedacht, nicht die geringste Bewegung zu machen, um ihn nicht abzulenken, wollte die Geheimnisse des Mannes kennenlernen. Wie Alan Medford Grant sammelte Crosse Geheimnisse. Gott verdamme diesen Bastard und seine verfluchten Informationsbriefe! Gott verdamme Dunross und seine Tricks! Wie, um Himmels willen, kann ich die Papiere vor Sinders in die Hand bekommen?
Sir Geoffrey starrte vor sich hin. Plötzlich gurgelte das Wasser in den Rohren in der Wand, und er kam zu sich. Er sah, daß Crosse ihn beobachtete. »Hmmm, ich habe laut gedacht! Eine schlechte Gewohnheit für einen Gouverneur, nicht wahr?«
Crosse lächelte und ging nicht in die Falle. »Sir?«
»Gut. Wie Sie sagen, es geht uns wirklich nichts an.« Der Gouverneur trank seinen Sherry aus, und Crosse wußte, daß er entlassen war. Er stand auf. »Danke, Sir.«
Als der Gouverneur allein war, überlegte er einen Augenblick, griff dann nach dem Telefonhörer und nannte der Zentrale die Geheimnummer des Ministers in London.
»Hier Geoffrey Allison. Ist der Minister anwesend?«
»Hallo, Geoffrey.«
»Hallo, Sir. Ich habe soeben mit Crosse gesprochen. Er hat mir versichert, daß das Versteck und Dunross bewacht werden. Ist Mr. Sinders unterwegs?«
»Er wird Freitag eintreffen. Ich nehme an, daß der unglückliche Unfall des Matrosen keine Folgen gehabt hat.«
»Nein, Sir. Wir haben alles unter Kontrolle.«
»Der Premierminister war sehr besorgt.«
»Ja, Sir. – Wegen des 1-43 … vielleicht sollten wir unseren Freunden gegenüber vorläufig noch nichts erwähnen.«
»Sie haben sich schon an mich gewendet. Waren sehr gereizt. Genau wie unsere Leute. Gut, Geoffrey. Zum Glück haben wir diesmal ein langes Wochenende, so daß mir bis Montag Zeit bleibt, Sie zu informieren und dann einen Verweis abzufassen.«
»Danke, Sir.«
»Geoffrey, der amerikanische Senator, der im Augenblick bei Ihnen ist, sollte einen Berater bekommen.«
Der Gouverneur runzelte die Stirn. Berater war ein Codewort und bedeutete, »sehr genau beobachtet werden«. Senator Wilf Tillman, ein Anwärter auf das Amt des Präsidenten, besuchte Hongkong en route nach Saigon.
»Ich werde sofort nach unserem Gespräch dafür sorgen. Gibt es noch etwas, Sir?«
»Nein, informieren Sie mich aber privat darüber, wie das Programm des Senators ausgesehen hat.« Programm war ein weiteres Codewort, das bedeutete, daß das Kolonialamt detaillierte Informationen erhalten mußte.
»Es wird am Freitag auf Ihrem Schreibtisch liegen.«
»Danke, Geoffrey. Wir werden morgen zur gewohnten Zeit wieder miteinander plaudern.« Die Verbindung wurde unterbrochen.
Der Gouverneur legte den Hörer nachdenklich auf. Ihr Gespräch war elektronisch verzerrt und an beiden Enden wieder entzerrt worden. Dennoch waren sie vorsichtig. Bei einem wirklich geheimen Gespräch suchte Sir Geoffrey den ständig bewachten zellenartigen Raum im Keller auf, der allwöchentlich von Sicherheitsbeamten genau nach Wanzen abgesucht wurde.
Verdammt lästig, dachte er. Verdammt lästig, diese Mantel-und-Degen-Geschichten! Crosse? Undenkbar – und doch hatte es einen Philby gegeben.
8
18.20 Uhr:
Kapitän Gregor Suslew, der einen gutgeschnittenen Zivilanzug trug, grüßte sorglos die Polizei am Werfttor in Kowloon. Die beiden Detektive in Zivil folgten ihm in fünfzig Meter Abstand. Er blieb einen Augenblick am Gehsteig stehen und winkte dann einem Taxi. Das Taxi fuhr an, und ein kleiner grauer Jaguar, in dem Sergeant Lee und ein Beamter des CID in Zivil saßen, folgte ihm.
Das Taxi fuhr in dem dichten Verkehr die Chatham Road nach Süden, bog am südlichsten Zipfel von Kowloon auf der Salisbury Road nach Westen und kam zum Hauptbahnhof der Eisenbahn in der Nähe des Terminals der Golden Ferry. Es hielt an. Suslew zahlte und lief die Treppe zum Victoria and Albert Hotel hinauf. Sergeant Lee folgte ihm, während
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