Hongkong 02 - Noble House Hongkong
sie verließen gemeinsam das Lokal, wobei ihnen zahlreiche Blicke folgten. Sie trug den Kopf hoch, aber insgeheim haßte sie die Blicke der Chinesen, selbst die des jungen Pagen, der die Tür aufhielt – das Ebenbild ihres Bruders, dessen Lebensunterhalt sie bestritt und dessen Schulbildung sie finanzierte.
Dunross kam die Treppe herauf. Er wartete, bis sie draußen waren – seine Augen glitzerten amüsiert –, dann verbeugte sich der lächelnde Page höflich vor ihm. Er drängte sich durch die Menge zum Telefon. Zahlreiche Anwesende bemerkten und beobachteten ihn. Er wich einer Gruppe kamerabehängter Touristen aus und entdeckte an einem Ecktisch Jacques deVille und seine Frau Susanne. Beide starrten niedergeschlagen in ihre Gläser. Dunross schüttelte den Kopf. Sie hat den armen alten Jacques wieder einmal erwischt und macht ihm die Hölle heiß. O Gott!
»Hallo, Jacques – Susanne! Wie geht’s?«
»Oh, hallo, Tai-Pan!« Jacques deVille erhob sich höflich. »Möchtest du dich nicht zu uns setzen?«
»Danke, es geht leider nicht.« Dann bemerkte er, wie verzweifelt sein Freund aussah, und erinnerte sich an den Autounfall in Frankreich. Jacques’ Tochter Avril und ihr Mann! »Was ist geschehen?«
Jacques zögerte, dann sagte er: »Ich habe mit Avril gesprochen. Sie rief mich von Cannes aus an, als ich das Büro verließ. Sie sagte: ›Daddy, Daddy, Borge ist tot … kannst du mich hören? Ich versuche seit zwei Tagen, dich zu erreichen … es war frontal, und der andere Mann war … Mein Borge ist tot … kannst du mich hören? …‹« Jacques’ Stimme war tonlos. »Dann riß die Verbindung ab. Wir wissen, daß sie in Cannes in der Klinik ist. Ich hielt es für das Beste, wenn Susanne gleich fliegt, aber ihr Flug wurde verschoben, und deshalb warten wir einfach hier. Die Rezeption versucht, eine Verbindung mit Cannes herzustellen, aber ich habe nicht viel Hoffnung.«
»Mein Gott, es tut mir so leid«, sagte Dunross und versuchte, den Schmerz zu verdrängen, den er empfand, als er sich Adryon an Avrils Stelle vorstellte. Avril war zwanzig, und Borge Escary ein vielversprechender junger Mann. Sie waren seit anderthalb Jahren verheiratet, und es war ihr erster Urlaub nach der Geburt eines Sohnes. »Um wieviel Uhr startet die Maschine?«
»Um acht.«
»Möchtest du, daß wir uns um das Baby kümmern, Susanne? Warum fliegst du nicht mit, Jacques? Ich sehe hier schon nach dem Rechten.«
»Nein. Danke, aber das geht nicht. Es ist besser, wenn Susanne fliegt. Sie wird Avril nach Hause bringen.«
»Ja«, bestätigte Susanne, und Dunross bemerkte, daß sie in sich zusammengesunken war. »Wir haben die amahs … es ist besser, wenn nur ich fliege, Tai-Pan. Merci, aber so ist es am besten.« Tränen liefen ihr über die Wangen. »Es ist einfach nicht gerecht. Borge war ein so netter Junge.«
»Ja. Susanne, ich werde Penn täglich hinüberschicken, also mach dir keine Gedanken, wir werden dafür sorgen, daß es dem Baby und Jacques gutgeht.« Dunross musterte sie abwägend. Er war davon überzeugt, daß Jacques sich in der Hand hatte.
Gut, dachte er. Dann sagte er befehlend: »Jacques, sobald Susanne sicher im Flugzeug sitzt, fährst du ins Büro! Schick unserem Mann in Marseille ein Telex! Er soll eine Suite im Capitol reservieren lassen und Susanne mit einem Auto und Francs im Gegenwert von zehntausend Dollar abholen. Bestell ihm von mir, daß er ihr während ihres Aufenthaltes jederzeit zur Verfügung stehen muß! Er soll mich morgen anrufen und mir einen vollständigen Bericht über Avril geben, über den Unfall, wer von den beiden am Steuer gesessen hat und wer der andere Fahrer war.«
Jacques zwang sich ein Lächeln ab. » Oui. Merci, mon ami. «
»Rien. Es tut mir so leid, Susanne – melde ein R-Gespräch an, falls wir irgend etwas tun können!« Er verabschiedete sich. Unser Mann in Marseille ist gut, dachte er. Er wird sich um alles kümmern. Habe ich jedes Detail bedacht? Gott schütze Adryon, Glenna, Duncan und Penn, dachte er. Und Kathy und alle übrigen. Und mich – bis das Noble House unangreifbar ist. Er sah auf die Uhr. Es war genau 6.30 Uhr. Er ging zu einem Telefon. »Mister Bartlett, bitte.« Einen Augenblick später hörte er Caseys Stimme.
»Hallo?«
»Hallo, Ciranoush. Würden Sie ihm sagen, daß ich in der Halle bin?«
»Ja, natürlich. Möchten Sie heraufkommen? Wir sind – «
»Warum kommen Sie nicht herunter? Wenn Sie nicht zu beschäftigt sind, möchte ich Sie
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