Hongkong 02 - Noble House Hongkong
Gott wo sonst noch einmarschieren zu lassen. Ich weiß bis heute nicht, wie es passiert ist, aber wir haben den Krieg verloren; wir, die Sieger, haben ihn verloren.«
»Sie beurteilen die Dinge ganz falsch, Charles«, erwiderte Broadhurst. »Die Völker der Welt haben gewonnen, als wir Nazideutschland zer…« Er unterbrach sich verdutzt, als er den Ausdruck auf Greys Gesicht sah. »Was haben Sie, Robin?«
Grey starrte auf die andere Seite des Saales hinüber. »Ian! Der Mann da drüben, der mit dem Chinesen spricht, kennst du ihn? Der Große mit dem Blazer?«
»Der Blonde? Das ist Marlowe, Peter Marlowe …«
»Peter Marlowe!« murmelte Grey. »Was … was macht er in Hongkong?«
»Er ist nur auf Besuch da. Aus den Staaten. Er ist Schriftsteller. Ich glaube, er schreibt ein Buch über Hongkong. Ich habe ihn erst vor wenigen Tagen kennengelernt.«
»Und die Frau neben ihm – ist das seine Frau?«
»Ja, das ist Fleur Marlowe. Warum fragst du?«
Grey blieb ihm die Antwort schuldig. Ein Tropfen Speichel erschien in seinem Mundwinkel. »Besteht eine Verbindung zwischen diesen Leuten und Ihnen, Robin?« fragte Broadhurst, seltsam beunruhigt.
Es kostete Grey Mühe, seinen Blick von Marlowe loszureißen. »Wir waren zusammen in Changi, dem japanischen Kriegsgefangenenlager. In den letzten beiden Jahren war ich Kommandeur der Lagerpolizei und hatte auf Disziplin zu achten.« Er wischte sich den Schweiß von der Oberlippe. »Marlowe war einer der Schwarzhändler dort.«
»Marlowe?« Dunross war überrascht.
»Ja, ja, Hauptmann der R.A.F. Marlowe, der feine englische Gentleman«, antwortete Grey, seine Stimme rauh vor Bitterkeit. »Ja, er und sein Kumpel, ein Amerikaner namens King, Corporal King, das waren die Köpfe. Der Capo war der Amerikaner, ein Texaner. Er hatte Obersten als Mittelsmänner – Obersten, Majore, Hauptleute, alles feine englische Gentlemen. Marlowe war sein Dolmetscher bei Verhandlungen mit den japanischen und koreanischen Wachen … Wir hatten hauptsächlich koreanische Wachen. Das waren die schlimmsten … Marlowe und King ließen es sich gutgehen, diese beiden Burschen fraßen mindestens ein Ei im Tag, während die anderen vor Hunger fast krepierten. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie …«
»Wie lange waren Sie Kriegsgefangener?« fragte Sir Charles mitfühlend.
»Dreieinhalb Jahre.«
»Entsetzlich«, sagte Hugh Guthrie. »Meinen Vetter hat es in Birma erwischt. Schrecklich!«
»Ja, schrecklich«, wiederholte Grey, »aber nicht so schrecklich für die, die sich verkauften.« Er fixierte Sir Charles, und seine Augen waren blutunterlaufen. »Es sind die Marlowes dieser Welt, die uns verraten haben, uns, die gewöhnlichen Leute ohne Geburtsprivilegien. Mann, ich brauche jetzt einen Drink. Entschuldigen Sie mich!« Er stolzierte auf die Bar zu, die an der anderen Seite des Saales eingerichtet worden war.
»Höchst seltsam«, bemerkte Sir Charles.
Guthrie lächelte nervös. »Ich fürchtete schon, er würde sich auf Marlowe stürzen.«
Broadhurst bemerkte, daß Dunross Grey stirnrunzelnd nachblickte und sagte: »Achten Sie nicht auf ihn, Mr. Dunross! Grey ist manchmal recht lästig … ein ungehobelter Klotz. Er ist … alles andere als ein typischer Vertreter des Labourflügels. Der neue Vorsitzende unserer Partei, Harold Wilson, wird Ihnen gefallen. Wenn Sie das nächste Mal in London sind, würde ich Sie gern mit ihm bekanntmachen.«
»Vielen Dank! Eigentlich dachte ich jetzt an Marlowe. Ich kann mir kaum vorstellen, daß er sich ›verkaufte‹ oder jemanden ›verraten‹ haben könnte.«
»Ja, man weiß nie, was in einem Menschen steckt.«
Grey nahm seinen Whisky-Soda, machte kehrt und durchquerte den Saal. »Ist’s die Möglichkeit – Hauptmann Marlowe!«
Überrascht drehte Peter Marlowe sich um. Sein Lächeln verschwand, und die beiden Männer starrten einander an. Fleur Marlowe stand bewegungslos da.
»Hallo, Grey«, sagte Marlowe, seine Stimme klang flach. »Ich hörte, daß Sie in Hongkong sind. Ich habe sogar Ihr Interview in der Nachmittagszeitung gelesen.«
Er wandte sich an seine Frau. »Fleur, das ist der Abgeordnete Robin Grey.« Er stellte ihn auch den Chinesen vor, unter ihnen Sir Shiteh Ttschung.
»Eine Ehre, Sie bei uns begrüßen zu dürfen, Mr. Grey«, sagte Shiteh mit seinem Oxford-Akzent. Er war ein großgewachsener, dunkelhäutiger, gutaussehender Eurasier. »Ich hoffe, Sie werden sich in Hongkong wohl fühlen.«
»Hm«, machte Grey
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