Hongkong 02 - Noble House Hongkong
die in einer Ecke beisammenstanden und mit Jacques deVille plauderten. Es waren nur vier; die anderen hatten sich nach der langen Reise zur Ruhe begeben. Jacques deVille machte die Herren miteinander bekannt. Sir Charles Pennyworth, Tory; Hugh Guthrie, Liberaler; Julian Broadhurst und Robin Grey, beide Labour. »Guten Abend, Robin«, sagte Dunross.
»Guten Abend, Ian! Ist ’ne ganze Weile her, als wir uns das letztemal sahen.«
»Ja.«
»Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen …«, sagte deVille, das Gesicht abgehärmt. »Meine Frau ist verreist, und wir müssen uns um mein kleines Enkelkind kümmern.«
»Hast du mit Susanne in Frankreich gesprochen?« fragte Dunross.
»Ja, Tai-Pan. Sie … sie kommt schon wieder in Ordnung. Danke, daß du Deland angerufen hast! Wir sehen uns morgen. Gute Nacht, meine Herren!« Er schritt auf die Treppe zu.
Dunross musterte Robin Grey. »Du hast dich überhaupt nicht verändert.«
»Du auch nicht«, erwiderte Grey, und dann zu Pennyworth: »Mr. Dunross und ich haben uns vor Jahren in London kennengelernt, Sir Charles. Es war kurz nach dem Krieg. Ich war gerade Betriebsrat geworden.« Er war ein hagerer Mann mit dünnen Lippen, feinem, graumeliertem Haar und scharfen Gesichtszügen.
»Ja, es sind ein paar Jahre her«, bestätigte Dunross höflich, die Abmachung einhaltend, die Penelope und ihr Bruder vor geraumer Zeit getroffen hatten – daß keine Blutsverwandtschaft zwischen ihnen bestand. »Bleibst du lange, Robin?«
»Nur ein paar Tage«, antwortete Grey. Sein Lächeln war so dünn wie seine Lippen.
»Ich war noch nie in diesem Arbeiterparadies. Darum möchte ich ein paar Gewerkschaften besuchen, um zu erfahren, wie die anderen neunundneunzig leben.«
Sir Charles Pennyworth, der Leiter der Delegation, lachte. Er war ein gutunterrichteter Mann von blühender Gesichtsfarbe, ein früherer Oberst im London Scottish Regiment, Träger des Distinguished Service Order und Kronanwalt. »Fürchte, man gibt hier nicht allzu viel auf Gewerkschaften, Robin. Oder irre ich, Tai-Pan?«
»Unsere Arbeiterschaft kommt sehr gut ohne aus«, antwortete Dunross.
»Und verdient Hungerlöhne«, konterte Grey. »Nach euren eigenen Statistiken. Regierungsstatistiken.«
»Nicht nach unseren Statistiken, Robin, nur nach euren Statistikern«, hielt Dunross ihm entgegen. »Nach den Japanern sind unsere Leute die bestbezahlten Asiens, und sie leben in einer freien Gesellschaft.«
»Frei? Komm mir doch nicht damit!« höhnte Grey. »Du meinst die Freiheit, die Arbeiter auszunützen. Na, keine Bange, wenn bei den nächsten Wahlen Labour ans Ruder kommt, werden wir das alles ändern.«
»Aber Robin«, mischte Sir Charles sich ein, »bei den nächsten Wahlen hat Labour doch überhaupt keine Chancen.«
Grey lächelte. »Verlassen Sie sich nicht darauf, Sir Charles! Das englische Volk will den Wechsel. Labour tritt für den Wechsel ein und kämpft dafür, daß die Arbeiter einen gerechten Anteil der Profite erhalten.«
»Ich fand es immer schon unfair von den Sozialisten, daß sie von den ›Arbeitern‹ reden, als ob sie allein die Arbeit täten und wir nicht den Finger rührten«, ärgerte sich Dunross. »Auch wir sind Arbeiter. Wir arbeiten ebenso schwer, wenn nicht schwerer.«
»Aber du bist ja auch ein Tai-Pan und lebst in einem schönen großen Haus, das dir zusammen mit deiner Macht als Erbe zugefallen ist. Dieses ganze Kapital gründet sich auf den Schweiß armer Menschen, und von dem Opiumgeschäft, mit dem alles angefangen hat, will ich gar nicht reden. Es ist nur fair, eine Streuung des Kapitals zu fordern, und es sollte eine Kapitalertragssteuer geben. Je früher die großen Vermögen umverteilt werden, desto besser für alle, stimmt’s, Julian?«
Julian Broadhurst war ein großgewachsener, distinguierter Mann Mitte Vierzig, ein engagierter Parteigänger der Gesellschaft der Fabier, des Braintrusts der sozialistischen Bewegung. »Nun ja, Robin«, antwortete er in seiner langsamen, fast schüchternen Art, »ganz gewiß trete ich nicht wie Sie dafür ein, auf die Barrikaden zu steigen, aber ich denke schon, Mr. Dunross, daß Hongkong eine Arbeiterkammer, garantierte Mindestlöhne, eine gewählte Legislative, freie Gewerkschaften, einen staatlich gelenkten Gesundheitsdienst, ein ›Betriebsunfallentschädigungsgesetz‹ und, was dergleichen Neuerungen mehr sind, gut brauchen könnte.«
»Da sind Sie auf dem Holzweg, Mr. Broadhurst. China würde einer Änderung unseres
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