Hongkong 02 - Noble House Hongkong
Papieren.
»Ian, lieber Freund.« Havergill erhob sich und streckte ihm die Hand entgegen. »Tut mir schrecklich leid, daß wir gestern nicht reden konnten, und der Empfang im Restaurant war ja auch kaum der richtige Ort, um über Geschäfte zu sprechen, nicht wahr? Wie geht es Ihnen?«
»Recht gut, denke ich. Und Ihnen?«
»Ich hab noch ein bißchen Aftersausen, aber Constance geht es Gott sei Dank gut. Daheim nahmen wir beide einen kräftigen Schluck von Dr. Cólicos Arznei.« Das war ein im Krimkrieg von einem Dr. Cólico erfundenes Elixier gegen Magenbeschwerden, als Zehntausende englische Soldaten an Typhus, Cholera und Ruhr starben.
»Ein ausgezeichnetes Mittel! Dr. Tooley hat uns das auch verabreicht.«
»Diese armen Menschen, die sich nicht retten konnten! Toxes Frau!«
»Heute früh hat man ihre Leiche unter den Pfeilern gefunden«, berichtete Johnjohn traurig. »Wenn Mary mir keine rosa Karte ausgestellt hätte, wäre ich auch dabei gewesen.« Eine rosa Karte bedeutete, daß ein Mann die Erlaubnis seiner Frau hatte, den Abend ohne sie zu verbringen – um im Klub Bridge zu spielen, mit Besuchern auf Sauftour zu gehen oder sich anderweitig zu vergnügen.
»Ach ja?« Havergill lächelte. »Wer war denn die Glückliche?«
»Ich habe mit McBride im Klub Bridge gespielt.«
Havergill lachte. »Na ja, ein Gentleman genießt und schweigt, und schließlich müssen wir ja auf den guten Ruf der Bank bedacht sein.«
Dunross spürte die Spannung zwischen den beiden Männern. Er lächelte höflich und wartete.
»Was kann ich für Sie tun, Ian?« fragte Havergill.
»Ich brauche einen zusätzlichen Kredit von 100 Millionen auf dreißig Tage.«
Totenstille trat ein. Die beiden Männer starrten ihn an. Dunross glaubte den Schatten eines Lächelns hinter Havergills Augen zu sehen. Johnjohn wartete und beobachtete. Havergill zündete sich eine Zigarette an. »Wie steht es mit dem Par-Con-Deal, Ian?«
»Dienstag unterschreiben wir.«
»Können Sie dem Amerikaner vertrauen?«
»Wir haben abgeschlossen.«
Und wieder Stille. »Es ist ein sehr gutes Geschäft, Ian«, äußerte Johnjohn verlegen.
»Ja. Und mit Ihrer offen deklarierten Unterstützung werden Gornt und die Blacs ihren Angriff abblasen.«
»Aber 100 Millionen«, wandte Havergill ein, »das ist völlig unmöglich.«
»Ich sagte schon, daß ich nicht den ganzen Betrag benötigen werde.«
»Das vermuten Sie, lieber Freund. Wir könnten gegen unseren Willen in einen gigantischen Machtkampf verwickelt werden. Mir sind Gerüchte zu Ohren gekommen, wonach Gornt mit Fremdfinanzierung rechnen kann. Deutsches Kapital. Wir wollen uns nicht auf einen Kampf mit einem Konsortium deutscher Banken einlassen. Ihren Kredit haben Sie überschritten. Nicht zu vergessen die fünfhunderttausend Aktien, die Sie gestern gekauft haben, und die Sie bis spätestens Montag bezahlen müssen. Tut mir leid – nein.«
»Lassen Sie doch den Aufsichtsrat entscheiden!« Dunross wußte, daß er genügend Stimmen hatte, um den Kredit auch gegen Havergills Willen durchzusetzen.
»Bitte sehr, das will ich gern tun – bei der nächsten Aufsichtsratssitzung.«
»Die ist doch erst in drei Wochen. Bitte berufen Sie eine außerordentliche Sitzung ein!«
»Tut mir leid – nein.«
»Und warum nicht?«
»Ich bin nicht verpflichtet, Ihnen Rechenschaft über meine Beweggründe zu geben«, erwiderte Havergill scharf. »Weder besitzt noch kontrolliert Struan’s dieses Institut. Das Recht, außerordentliche Sitzungen einzuberufen, steht ausschließlich mir zu. Ich werde Ihr Ansuchen bei der nächsten Aufsichtsratssitzung zur Sprache bringen. Liegt sonst noch etwas vor?«
Dunross mußte an sich halten, um nicht in das selbstgefällige Gesicht seines Feindes zu schlagen. »Ich brauche den Kredit, um den Kurs zu stützen. Und ich brauche ihn jetzt.«
»Natürlich. Bruce und ich verstehen auch sehr gut, daß die Anzahlung von Par-Con Ihnen die notwendige Finanzierung gibt, um Ihre Schiffstransaktionen abzuschließen und an Orlin eine Teilzahlung zu leisten.« Havergill lächelte. »Übrigens: Wie ich erfahren habe, wird Orlin nicht prolongieren. Sie werden die Wechsel innerhalb von dreißig Tagen voll honorieren müssen.«
Röte stieg Dunross ins Gesicht. »Von wem haben Sie das erfahren?«
»Vom Generaldirektor natürlich. Ich habe ihn gestern abend angerufen, weil ich wissen wollte, ob …«
»Was haben Sie?«
»Natürlich. Mein lieber Mann«, sagte Havergill, der nun kein Hehl
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