Hongkong 02 - Noble House Hongkong
dem er diese Nummer unter der Voraussetzung anvertraut hatte, daß er sie nur in Notfällen gebrauchen und ohne triftigen Grund an niemanden weitergeben sollte. »Was kann ich für Sie tun?«
»Ich, äh, komme aus London, eigentlich aus Schottland. Alan hat mir aufgetragen, Sie gleich nach meiner Ankunft in Hongkong anzurufen. Er, äh, gab mir Ihre Nummer. Ich hoffe, ich störe Sie nicht?«
»Keineswegs, Mr. Kirk.«
»Alan gab mir ein Päckchen für Sie, und er wollte auch, daß ich mit Ihnen spreche. Meine Frau und ich sind für drei Tage in Hongkong, und so dachte ich, äh, wir könnten uns vielleicht treffen.«
»Selbstverständlich. Wo sind Sie abgestiegen?«
»Im ›Neun-Drachen-Hotel‹ in Kowloon, Zimmer 455.«
»Wann haben Sie Alan zum letzten Mal gesehen, Mr. Kirk?«
»Vor unserer Abreise aus London, vor etwa zwei Wochen. Wir, äh, wir waren in Singapur und Indonesien.«
»Würde es Ihnen nach dem Mittagessen passen? Bis 3 Uhr 20 bin ich leider besetzt. Anschließend könnte ich Ihnen zur Verfügung stehen.«
»3 Uhr 20 ist mir sehr recht.«
»Ich schicke Ihnen einen Wagen und …«
»Ach, das, äh, das ist nicht nötig. Wir finden schon den Weg zu Ihnen.«
In Gedanken versunken legte Dunross den Hörer auf.
Die Uhr schlug 8 Uhr 45. Es klopfte. Claudia öffnete die Tür. »Sir Luis Basilio, Tai-Pan.«
In seinem Büro in der Victoria Bank brüllte Johnjohn ins Telefon: »… Ist mir doch schnurzegal, was ihr Brüder in London euch denkt! Hier läuft ein Run an, und es sieht gar nicht gut aus. Ich … was? Sprechen Sie lauter, Mann! Wir haben eine miserable Verbindung … Was? … Kümmert mich doch nicht, daß es bei euch halb zwei Uhr nachts ist … Ich versuche seit vier Stunden, Sie zu erreichen! … Was? Du lieber Himmel …« Seine Augenbrauen zuckten, aber er beherrschte sich. »Hören Sie, fahren Sie so schnell Sie können in die Stadt und ins Münzamt und sagen Sie denen … Ja, sagen Sie denen, daß auf der ganzen Insel das Geld ausgehen könnte und … Hallo? … Hallo? …« Er knallte den Hörer auf die Gabel, fluchte und drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage. »Miss Mills, wir wurden getrennt, bitte stellen Sie die Verbindung wieder her, so schnell Sie können!«
»Gewiß«, sagte die kalte, sehr englische Stimme. »Mr. Dunross ist hier.«
Johnjohn warf einen Blick auf die Uhr. Es war 9 Uhr 33. »Warten Sie … warten Sie mit dem Anruf, ich …« Er eilte zur Tür und öffnete sie mit gespielter Nonchalance.
»Mein lieber Ian! Tut mir so leid, daß Sie warten mußten. Wie geht’s denn?«
»Gut. Und Ihnen?«
»Wunderbar!«
»Wunderbar? Interessant. Draußen stehen schon sechs- oder siebenhundert ungeduldige Kunden Schlange, und die Schalter öffnen erst in einer halben Stunde. Ein paar Leute stehen sogar schon vor der Blacs.«
»Mehr als nur ein paar …« Gerade noch rechtzeitig besann sich Johnjohn eines Besseren. »Möchten Sie einen Kaffee, oder wollen wir gleich zu Havergill hinaufgehen?«
»Gehen wir zu Havergill hinauf!«
»Bitte.« Johnjohn ging voran. »Nein, wir haben keine Probleme. Ein paar abergläubische Chinesen, Sie wissen ja, wie sie sind. Furchtbar, dieses Feuer! Waren Sie heute früh auf dem Rennplatz? Der Regen kommt wie gerufen, was?«
Dunross empfand zunehmendes Unbehagen. »Gewiß. Wie ich höre, stehen schon Schlangen vor so gut wie allen Banken in der Kolonie. Ausgenommen die Bank of China.«
Johnjohns Lachen klang hohl. »Unsere kommunistischen Freunde fänden nur wenig Gefallen an einem Sturm auf ihr Institut. Sie würden Truppen aufmarschieren lassen.«
»Es gibt also einen Run?«
»Auf die Ho-Pak, ja. Nach meinen Informationen hat Kwang tatsächlich einige recht riskante Kredite gewährt. Ich fürchte, die Tsching Property ist auch nicht ganz in Ordnung. Aber nach all seinen dubiosen Transaktionen in den letzten Jahren würde Lächler Tsching eine Tracht Prügel verdienen.«
»Drogen?«
»Dazu kann ich wirklich nichts sagen, Ian. Aber die Gerüchte scheinen das zu bestätigen.«
»Und Sie meinen, der Run wird euch nicht in Mitleidenschaft ziehen?«
»Nicht ernstlich. Und wenn … Aber ich bin sicher, es kommt alles wieder in Ordnung.« Johnjohn ging den breiten, getäfelten Gang hinunter. Er nickte der ältlichen englischen Sekretärin zu und öffnete die Tür mit der Aufschrift »Paul Havergill, stellvertretender Generaldirektor«. Das geräumige Büro war getäfelt, der Schreibtisch groß und frei von
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