Hongkong 02 - Noble House Hongkong
sie?«
»Schwerindustrien, Crackanlagen zur Gewinnung von Treibstoffen, Bohrtürme, chemische Fabriken, Stahlwalzwerke.«
»Und womit wollen sie das bezahlen?«
»Sie sagen, sie hätten reichlich Devisen. Davon kommt eine ganze Menge aus Hongkong.«
»Haben sie sich für Waffen interessiert?«
»Nein. Nicht direkt. Sie sind clever, und wir sind nicht immer als Gruppe mit ihnen zusammengetroffen. Sie waren über mich und Broadhurst gut informiert und brachten uns nicht übermäßig viel Sympathien entgegen. Vielleicht haben sie privat mit Pennyworth oder einem der anderen Tories gesprochen – aber das wird ihnen auch nichts helfen.«
»Was für ein Mensch ist Julian Broadhurst?«
»Ein Intellektueller, der sich für einen Sozialisten hält. Der letzte Dreck, aber im Moment noch Mitglied.« Grey schnitt eine Grimasse. »Darum wird er in einer kommenden Labour-Regierung eine wichtige Rolle spielen.«
»Räumen Sie Labour bei den nächsten Wahlen Chancen ein, Mr. Grey?«
»Eher nein, obwohl wir sehr hart daran arbeiten, Labour und den Liberalen zu helfen.«
Suslew runzelte die Stirn. »Warum den Liberalen? Das sind doch Kapitalisten!«
Grey lachte sarkastisch. »Sie verstehen unser britisches System nicht, Kapitän Suslew. Wir können von Glück reden, daß wir ein Zwei-Parteien-System haben, in dem drei Parteien zur Wahl stehen. Die Liberalen spalten die Stimmen auf, was uns zum Vorteil gereicht. Ohne die Liberalen wäre Labour nie an die Regierung gekommen.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Im besten Fall stimmen nur etwa 45 Prozent für Labour, eher weniger. Auf die Tories, die Konservativen, kommen ungefähr ebenso viel, eher mehr. Die restlichen zehn Prozent wählen überwiegend liberal. Gäbe es keine Liberalen, würden sie mehrheitlich konservativ wählen. Es sind alles Dummköpfe«, erklärte er überheblich. »Nur einige wenige glauben an einen demokratischen Sozialismus, und doch«, fügte er mit großer Selbstzufriedenheit hinzu, »haben wir ihr faulendes Empire zerschlagen und die Operation Löwe zum Erfolg geführt.« Die Operation Löwe war unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Bolschewiken geplant worden. Ihr Ziel: die Vernichtung des britischen Empire. »In knapp achtzehn Jahren nach 1945 hat das größte Reich der Erde zu bestehen aufgehört.«
»Ausgenommen Hongkong.«
»Das kommt auch bald dran.«
»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, für wie wichtig meine Vorgesetzten Ihre Arbeit ansehen«, erklärte Suslew mit vorgetäuschter Bewunderung. »Ihre und die aller unserer britischen Brüder.« Er hatte den Auftrag, diesem Mann respektvoll zu begegnen, ihn über seine Mission in China auszufragen und Instruktionen in der Form von Ersuchen an ihn weiterzugeben. Er hatte Greys Dossier gelesen und das der Finns. Roger Grey hatte eine Berija-KGB-Klassifikation 4/22/3: »Ein einflußreicher britischer Verräter, der gegenüber den Idealen des Marxismus-Leninismus Lippenbekenntnisse ablegt. Man kann ihn benützen, darf ihm aber nie vertrauen. Sollte die BCP jemals an die Macht kommen, ist er sofort zu liquidieren.«
»Haben Sie Informationen für mich?« fragte Grey.
»Ja, towarisch, und auch, wenn Sie gestatten, ein paar Fragen. Man hat mich ersucht, Sie zu fragen, wie Sie mit der Durchführung der Weisung 72/Prag weitergekommen sind.« Diese streng geheime Weisung gab allen Bemühungen besonderen Vorzug, politisch zuverlässige Fachleute als Betriebsräte in alle Automobilfabriken der USA und des Westens einzuschleusen; wegen der zahllosen verwandten Industrien war der Automobilbau das Herz jeder kapitalistischen Wirtschaft.
»Wir kommen ausgezeichnet voran«, lautete Greys begeisterte Antwort. »Wilde Streiks weisen den Weg in die Zukunft. Mit wilden Streiks umgehen wir die Gewerkschaftshierarchie. Unsere Gewerkschaften sind zersplittert. Fünfzig Leute können eine Gewerkschaft gründen, und diese kann Tausenden ihren Willen auf zwingen. Solange es keine geheimen Wahlen gibt, werden die wenigen immer die Mehrheit beherrschen!« Er lachte. »In ein paar Jahren werden wir in jeder einzelnen Gewerkschaft der Maschinenindustrie in der englischsprechenden Welt Agitatoren sitzen haben.«
»Und Sie sind einer der Köpfe, towarisch! Wie wunderbar!« Suslew ließ ihn weiterreden und hakte immer wieder nach; daß es so leicht war, diesem Mann zu schmeicheln, erfüllte ihn mit Abscheu. Was sind Verräter doch für widerliches Pack, sagte er sich. »Bald wird das demokratische Paradies, das Sie
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