Hongkong 02 - Noble House Hongkong
Barbareien. Sie halten uns für wahnsinnig, daß wir das tun – und vielleicht haben sie gar nicht so unrecht. Sie pflegen alle möglichen verrückten und vernünftigen Bräuche – man kann es so oder so sehen. Wußten Sie zum Beispiel, daß es in der ganzen Kolonie völlig legal ist, mehr als eine Frau zu haben – vorausgesetzt, man ist Chinese?«
»Kluge Kerlchen! Aber Sie, Peter, brauchen keine andere. Sie haben Fleur. Wie geht es euch beiden? Kommen Sie gut in Ihrer Arbeit voran? Möchte Fleur morgen mit mir zu Mittag essen, wenn Sie beschäftigt sind?«
»Das wird leider nicht gehen. Sie ist im Krankenhaus.«
»O Gott, was ist denn passiert?«
Er erzählte ihr von Dr. Tooleys Besuch am Vormittag. »Ich war gerade bei ihr. Ihr geht es … nicht sehr gut.«
»Das tut mir aber leid. Kann ich etwas tun?«
»Nein, ich glaube nicht.«
»Linc hat das Richtige getan, als er mit ihr ins Wasser sprang, Peter. Ehrlich.«
»Selbstverständlich, Casey. Glauben Sie ja nicht … Linc hat getan, was ich … Er hat es besser gemacht, als ich es hätte tun können. Sie auch. Und ich glaube, Sie beide haben auch diese andere Frau gerettet. Orlanda. Orlanda Ramos.«
»Ja.«
»Sie sollte Ihnen ewig dankbar sein. Ihnen beiden. Sie war von panischem Entsetzen befallen. Ich habe so etwas schon oft gesehen. Eine flotte Biene, nicht wahr?«
»Ja. Wie kommen Sie mit Ihrer Arbeit voran?«
»Gut, danke.«
»Wir müssen einmal Erfahrungen austauschen. Übrigens, ich habe mir Ihr Buch gekauft – aber noch nicht gelesen. Es kommt als nächstes dran.«
»Ich hoffe, es wird Ihnen gefallen. Aber jetzt muß ich laufen. Die Kinder warten.«
»Denken Sie daran, Peter, wenn Sie etwas brauchen, rufen Sie mich einfach an! Danke für den Tee und grüßen Sie Fleur von mir!«
Casey streckte sich, stieg vom Fenster herunter und ging wieder ins Bett. Das Zimmer war klein und nicht so elegant wie ihre Suite – jetzt seine Suite. Er hatte beschlossen, auch das zweite Schlafzimmer zu behalten. »Wir können es immer als Büro benützen oder als Gästezimmer. Keine Sorge, Casey, wir können alles von der Steuer absetzen!«
Orlanda? In diesem Bett würde die Dame nie schlafen!
Casey, ermahnte sie sich, sei nicht gehässig, sei nicht dumm! Oder eifersüchtig. Du warst noch nie eifersüchtig, noch nie so eifersüchtig. Du hast die Regeln aufgestellt.
Ja, ich bin froh, daß ich ausgezogen bin. Orlanda wird ihm gut tun. Der Teufel soll sie holen! Sie hatte einen trockenen Mund. Sie ging zum Kühlschrank, holte sich ein Fläschchen Perrier und legte sich wieder nieder. Sie hatte schon früher versucht einzuschlafen, aber zu viel war ihr durch den Kopf gegangen, zu viele neue Eindrücke beschäftigten ihre Gedanken: neue Speisen, neue Gerüche, Bräuche, Gefahren, neue Menschen und Kulturen. Dunross und Gornt und Linc. Ein neuer Linc. Eine neue Casey, die Angst vor einer hübschen Fotze hat … Ja, Fotze, wenn du ordinär sein willst, und auch das ist neu für dich! Und diese Schlampe, diese Lady Joanna, mit ihrem stinkfeinen englischen Akzent: »Haben Sie vergessen, meine Liebe, heute ist der Lunch unseres ›Über-Dreißig-Klubs‹? Ich habe es bei der Dinnerparty des Tai-Pan erwähnt.«
Verdammte alte Vettel! Über dreißig! Ich bin noch nicht einmal siebenundzwanzig! Stimmt, Casey. Aber du bist gereizt wie eine läufige Katze, und das nicht nur wegen ihr oder Orlanda; es ist auch wegen Linc und den Hunderten williger Mädchen, die du schon in Nachtlokalen und Bars gesehen hast. Und jetzt hat auch Jannelli noch Öl ins Feuer gegossen, nicht wahr? »Mensch, Casey«, hatte er gegrinst, »seit meinen Urlaubstagen im Koreakrieg hat sich hier nichts geändert. Es kostet immer noch zwanzig Mäuse, und man kommt sich wie ein Pascha vor.«
Gegen zehn Uhr abends hatte Jannelli angerufen, um zu fragen, ob sie Lust hätte, mit ihm und dem Rest der Besatzung einen späten Imbiß im Royal Netherlands einzunehmen. Ihr Herz hatte bis zum Hals geschlagen, als das Telefon klingelte. Sie hatte gedacht, es sei Linc. Als sie hörte, daß er es nicht war, hatte sie vorgegeben, noch viel Arbeit zu haben, sich aber dann gern überreden lassen. Sie bestellte sich eine doppelte Portion Rührei mit Speck, Toast und Kaffee, obwohl sie wußte, daß sie das Zeug gar nicht wollte.
Als Protest. Als Protest gegen Asien, Hongkong, Joanna und Orlanda und, o Jesus, ich wünschte, ich hätte mich nie für Asien interessiert, hätte Linc nie vorgeschlagen, unsere
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