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Hongkong 02 - Noble House Hongkong

Hongkong 02 - Noble House Hongkong

Titel: Hongkong 02 - Noble House Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Clavell
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die Seiten, eine nach der anderen.
    Eine kleine Falte grub sich in ihre Stirn. Ein verwirrendes Durcheinander von Zahlen, Buchstaben und Satzzeichen. Ein kaum sichtbares Lächeln der Befriedigung spielte um ihre Lippen. Sie setzte sich bequem am Schreibtisch zurecht und fing an, die Seiten zu kopieren.
    Als sie fertig war, schob sie die Kopien in ein Hotelkuvert, die Originale in ein gewöhnliches, holte eine Stange Siegellack aus ihrer Handtasche, brannte ein Zündholz an und versiegelte beide Umschläge. Das Telefon klingelte und ließ sie zusammenfahren. Mit klopfendem Herzen wartete sie, bis es zu läuten aufhörte. Dann frankierte sie den Umschlag mit den Kopien und adressierte ihn an R. Anjin, Postfach 154, Hauptpost, Sydney, Australien. Sie steckte beide Briefe in ihre Handtasche, stand auf und holte sich eine Flasche perlendes Mineralwasser aus dem kleinen Kühlschrank in der Ecke des Zimmers. Wieder schrillte das Telefon. Sie sah hin und nippte am Mineralwasser. Sie dachte über den Lunch mit Dunross nach und fragte sich, ob es klug gewesen war, seine Einladung zu einem Cocktail heute abend und anschließend zu einem Dinner mit seinen Freunden anzunehmen. Werden diese Freunde auch wirklich kommen, oder werden wir allein sein? Würde ich mit diesem Mann gern allein sein?
    Ihre Gedanken kehrten zu dem kleinen, ein wenig nachlässigen, schon kahl werdenden Hans Gresserhoff zurück und zu den vier Jahren ihres gemeinsamen Lebens.
    Wochenlang war sie allein aufgewacht, hatte sie allein den Tag verbracht und allein geschlafen. Sie hatten nur wenig Freunde und waren nur selten ausgegangen. Er war ein sonderbar verschlossener Mann und hatte sie immer wieder davor gewarnt, Freundschaften zu schließen. Allein sollte sie bleiben, das wünschte er, allein und geborgen, immerzu ruhig und geduldig. Das war am schwersten zu ertragen, dachte sie: Geduld. Geduld allein, Geduld zu zweien, im Schlaf und im Wachen. Geduld und nach außen hin beherrschte Ruhe, sie, die einem Vulkan gleich danach lechzte, endlich auszubrechen.
    Daß er sie liebte, daran war nicht zu zweifeln. Aber alles, was sie für ihn empfand, war giri, Pflicht. Er gab ihr Geld, und ihr Leben war weder reich noch arm – glatt und flach wie eine reizlose Landschaft. Für seine Ab- und Anwesenheiten gab es keine Regeln. Wenn er da war, wollte er sie immer haben, wollte ihr nahe sein. Ihre intimen Beziehungen befriedigten ihn, aber nicht sie, obwohl sie, um ihm Freude zu machen, so tat. Schließlich hast du ja noch keinen anderen Mann gehabt, um Vergleiche anstellen zu können, tröstete sie sich.
    Er war ein guter Mann – wie ich es auch dem Tai-Pan gesagt habe. Ich war stets bemüht, ihm eine gute Frau zu sein, ihm in allem zu gehorchen, meiner Mutter und ihm gegenüber mein giri zu erfüllen. Und jetzt?
    Sie betrachtete ihren Ehering und drehte ihn an ihrem Finger. Zum ersten Mal nach ihrer Hochzeit nahm sie ihn jetzt ab und wog ihn in der Hand. Klein, nichtssagend, uninteressant. So viele einsame Nächte, manch stille Träne, während sie wartete und wartete. Worauf hatte sie gewartet? Kinder verboten, Freunde verboten, Reisen verboten. Nicht verboten, wie das ein Japaner getan hätte: Kin jiru ! Dafür: »Meinst du nicht, Liebste, es ist besser, wenn du nicht nach Paris fährst, wenn ich nicht da bin? Wenn ich zurückkomme, können wir …« Und beide wußten, daß sie nie fahren würden.
    Wien war ein Alptraum gewesen. Es war im ersten Jahr ihrer Ehe, und sie hatten eine Woche bleiben wollen. »Ich habe heute abend noch zu tun«, hatte er ihr gleich am ersten Tag eröffnet. »Bitte bleib auf dem Zimmer, iß auf dem Zimmer, bis ich zurück bin!« Zwei Tage vergingen, und als er zurückkam, war sein Gesicht bleich und verstört. Angst würgte ihn, und noch in der gleichen Nacht waren sie in ihren Mietwagen gestiegen und über die Tiroler Berge in die Schweiz zurückgeflohen.
    »Aber warum, warum, Hans?«
    »Warum, warum! Du sollst mir keine Fragen stellen, Riko! Das war unsere Abmachung. Es tut mir leid wegen der Ferien. Wir werden nach Wengen fahren oder nach Biarritz, es wird herrlich sein! Bitte denk an dein giri und daß ich dich von ganzem Herzen liebe.«
    Liebe!
    Dieses Wort verstehe ich nicht, dachte sie, während sie am Fenster stand und auf den Hafen hinunterblickte. Wie sonderbar, daß wir im Japanischen kein entsprechendes Wort haben. Nur Pflicht und Nuancen von Pflicht, nur Zuneigung und Nuancen von Zuneigung. Kein Wort für Liebe. Ai? Ai

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