Hongkong 02 - Noble House Hongkong
Blick von Marlowe los. »Ich höre auf. Ob ich hier wohl ein Taxi ins Dorf bekomme? Ich möchte ins Hotel zurückfahren, wenn es Ihnen recht ist.«
»Selbstverständlich«, gab Gornt mit geziemend ernstem Gesicht zurück, hochbefriedigt, daß Grey selbst darum ersucht und es ihm erspart hatte, ihm den Vorschlag zu machen. »Aber Sie und Marlowe«, verabreichte er ihm den Gnadenstoß, »könnten sich doch wie zwei Gentlemen die Hände reichen und vergessen …«
»Gentlemen? Ich bedanke mich. Von Gentlemen, wie Marlowe einer ist, habe ich für immer die Nase voll. Gentlemen? Gott sei Dank ist England im Wandel, und der feine Oxfordakzent wird bald nicht mehr der Schlüssel zu Macht und Ehre sein. Wir werden das Oberhaus reformieren, und wenn es nach mir geht …«
»Da sei Gott vor«, ließ Pugmire sich vernehmen.
»Pug«, mahnte Gornt in festem Ton. »Zeit für Kaffee und Portwein!« Freundlich nahm er Grey am Arm. »Wenn Sie uns entschuldigen wollen …«
Sie gingen an Deck. Insgeheim sehr zufrieden, führte Gornt den Abgeordneten zum Fallreep und begleitete ihn an Land. Es lief alles weit besser, als er gehofft hatte.
»Tut mir leid, Mr. Grey«, sagte er. »Ich hatte ja keine Ahnung, daß Marlowe … Abscheulich!«
»Ein Bastard ist er, war es immer und wird es immer sein – er und sein dreckiger Yankee-Freund. Ich hasse die Yankees! Höchste Zeit, daß wir mit diesen Gaunern Schluß machen!«
Gornt fand rasch ein Taxi. »Wollen Sie es sich nicht vielleicht doch überlegen, Mr. Grey?«
»Nein, danke.«
»Tut mir leid wegen Marlowe. Wann fliegen Sie mit Ihrer Delegation ab?«
»Morgen früh.«
»Wenn ich hier etwas für Sie tun kann, lassen Sie es mich wissen.« Er zahlte das Fahrgeld im voraus und winkte dem Taxi höflich nach. Grey sah sich nicht um.
Gornt lächelte. Dieser Widerling wird mir in kommenden Jahren ein nützlicher Verbündeter sein, dachte er, während er auf die Jacht zurückkehrte.
Seine Gäste waren auf Deck und tranken Kaffee und Liköre.
»Was für ein Armleuchter«, rief Gornt, und die Zustimmung war allgemein. »Tut mir schrecklich leid, Marlowe. Dieser elende …«
»Nein, es war meine Schuld«, erwiderte Marlowe, offensichtlich sehr betroffen. »Tut mir leid, daß er gegangen ist.«
»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Ich hätte ihn gar nicht einladen dürfen. Ich danke Ihnen für Ihr korrektes Verhalten. Er hat Sie ja bewußt provoziert.«
»Das stimmt«, warf Casey rasch ein. »Was für ein unangenehmer Mensch! Wenn Sie ihn nicht zurückgewiesen hätten, Quillan, Grey würde …«
»Genug von diesem Saftsack«, polterte Gornt jovial. »Vergessen wir ihn! Lassen wir uns doch diesen wunderbaren Nachmittag nicht von ihm verderben!« Er legte seinen Arm um Casey und drückte sie an sich. »He?« Er sah die Bewunderung in ihren Augen und wußte, daß er auf dem besten Weg war, sein Ziel zu erreichen. »Wollen wir uns langsam auf die Heimfahrt machen?«
»Gute Idee«, sagte Dunstan Barre. »Ich denke, ich werde mir eine kleine Siesta genehmigen.«
»Ausgezeichnet«, rief einer unter allgemeinem Gelächter, aber das Lachen klang gezwungen. Noch hatten sich die Gemüter nicht beruhigt, und Gornt spürte das.
»Zuerst noch einen Brandy! Marlowe?«
»Nein, danke, Mr. Gornt!«
Gornt musterte ihn. »Hören Sie mir zu, Marlowe«, sagte er mit echtem Mitgefühl, und alle verstummten. »Wir alle kennen das Leben, kennen Asien zu gut, um nicht zu wissen, daß, was immer Grey Ihnen vorwirft, Sie aus edlen und nicht aus niedrigen Beweggründen gehandelt haben. Sie hatten recht: Changi war eine Welt für sich. Fug saß dreieinhalb Jahre im Stanley-Gefängnis. Ich selbst konnte noch in letzter Minute aus Schanghai flüchten. Jason fiel bei Dünkirchen den Nazis in die Hände und verbrachte ein paar schreckliche Jahre bei ihnen. Dunstan kämpfte in China – auch er weiß Bescheid – stimmt’s?«
»O ja«, stimmte Barre ihm traurig zu. »Wenn man im Krieg überleben will, darf man es manchmal nicht so genau nehmen, Miss Tcholok. Ich danke Gott, daß ich nie erwischt wurde. Ich glaube nicht, daß ich es überlebt hätte. Nein, sicher nicht.« Verlegen füllte er sein Glas aus der Karaffe nach.
»Wie war es wirklich in Changi, Peter?« fragte Casey.
»Es ist schwer, darüber zu reden«, antwortete er. »Man war dem Verhungern so nahe, wie man es nur sein kann. Wir bekamen ein Viertelpfund trockenen Reis am Tag, etwas Gemüse und einmal in der Woche ein Ei. Es war
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