Hongkong 02 - Noble House Hongkong
sein Yankee-Freund. Ich war Kommandeur der Militärpolizei und bekam einmal im Monat einen, wenn ich Glück hatte.« Wieder heftete er seine Augen auf Marlowe. »Wo nahmen Sie den Kaffee und das Essen her, während ich und die anderen Hunger litten?«
Casey sah, wie die Ader an Marlowes Stirn anschwoll, und mußte sich eingestehen, daß keine Antwort auch eine Antwort war. »Mr. Grey …« setzte sie an, aber der Abgeordnete ließ sie nicht ausreden.
»Warum antworten Sie nicht, Mr. Marlowe?«
In der nun eintretenden Stille wanderten die Blicke der Anwesenden zwischen Grey und Marlowe hin und her, und selbst die Mädchen spürten die von zorniger Gereiztheit geprägte Atmosphäre.
»Mein lieber Mann«, schaltete Gornt sich mit jener Spur von Herablassung ein, von der er wußte, daß sie Grey reizen mußte, »das liegt doch jetzt schon so lange zurück und ist doch eher unwichtig. Heute ist Sonntag, und wir sind hier Freunde unter uns.«
»Ich finde es eher wichtig, Sonntag oder nicht Sonntag, ich und Marlowe sind keine Freunde und waren es auch nie. Er ist ein feiner Pinkel, und ich bin es nicht. So ist das. Aber der Krieg hat alles verändert, und wir Arbeiter werden es nie vergessen.«
Marlowe konterte: »Sie betrachten sich als Arbeiter?«
»Wir sind die Ausgebeuteten, und Sie gehören zu den Ausbeutern. Wie in Changi.«
»Hören Sie doch mal mit der alten Leier auf, Grey! Changi war eine andere Welt.«
»Es war die gleiche Welt wie überall. Es gab welche, die die Herrn spielten, und welche, die herumkommandiert wurden, es gab Arbeiter und solche, die sich mit ihrer Hilfe mästeten, wie Sie und der King.«
»Blanker Unsinn!«
Casey stand nicht weit von Grey. Sie langte hinüber und nahm seinen Arm. »Gehen wir doch jetzt Kaffee trinken, hm?«
»Selbstverständlich«, erwiderte Grey. »Aber zuerst fragen Sie ihn, Miss Tcholok!«
Grimmig hielt Grey seine Stellung und genoß das Gefühl, daß er seinen Feind endlich – und vor seinesgleichen – gestellt hatte. »Fragen Sie ihn doch, Mr. Gornt!«
Verlegen und bestürzt standen alle da, schockiert über die gegen Peter Marlowe vorgebrachten Beschuldigungen, Gornt und Plumm innerlich belustigt und fasziniert.
Eines der Mädchen verließ den Raum, und die anderen folgten ihr. Casey wäre gern mit ihnen gegangen, blieb aber dann doch.
»Jetzt ist nicht die Zeit, Mr. Grey«, sagte Gornt liebenswürdig. »Würden Sie die Güte haben, das Thema zu wechseln?«
Grey ließ seine Blicke über die Korona schweifen; am Ende blieben sie auf seinem Gegner haften. »Sehen Sie, Miss Tcholok, es hat keiner den Mut, ihn zu fragen – sie gehören alle zu seiner Klasse, zur Oberklasse, und die halten zusammen wie Pech und Schwefel.«
Barre lief rot an. »Ich muß schon sagen, alter Knabe …«
Peter Marlowe unterbrach ihn. Seine Stimme klang flach. »Es lohnt sich gar nicht, auf diesen Unsinn weiter einzugehen. Man kann kein normales Maß an Changi legen – ebensowenig wie an Dachau oder Buchenwald. Das kann man einfach nicht. Wir waren Soldaten, Kriegsgefangene, die meisten von uns unter zwanzig. Changi war eine Genese, alles auf den Kopf gestellt, alles …«
»Haben Sie Schwarzmarktgeschäfte gemacht?«
»Nein. Ich war Dolmetscher für einen Freund, einen Händler, und zwischen Handel und Schwarzmarkt liegt ein himmelweiter Unterschied.«
»Aber es war gegen die Vorschriften, und damit wird jeder Handel zu einem Geschäft auf dem Schwarzen Markt. Oder vielleicht nicht?«
»Der Handel mit den Wachen war gegen japanische, also vom Feind erlassene Vorschriften.«
»Und erzählen Sie uns doch, wie dieser King einem armen Kerl um ein Butterbrot seine Uhr, seinen Ring oder seine Füllfeder abluchste, das letzte, was er auf dieser Welt noch besaß, teuer weiterverkaufte und den Gewinn einsteckte. Hm?«
Peter Marlowe starrte ihn an. »Lesen Sie mein Buch, und …«
»Buch?« Grey brach in schallendes Gelächter aus. »Sagen Sie uns doch auf Ihre Ehre als Gentleman, auf die Ehre Ihres Vaters und Ihrer Familie, auf die Sie so stolz sind, hat der King die Leute betrogen, ja oder nein?«
Wie gelähmt beobachtete Casey, wie Peter Marlowe seine Hände zu Fäusten ballte.
»Wenn wir hier nicht Gäste wären, ich würde kein Hehl daraus machen, was für ein Dreckskerl Sie in Wirklichkeit waren!«
»Zur Hölle mit Ihnen!«
»Das reicht jetzt«, sagte Gornt in befehlendem Ton, und Casey begann wieder zu atmen. »Zum letzten Mal: Hören Sie auf!«
Grey riß den
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