Hongkong 02 - Noble House Hongkong
furchtbar, mehr kann ich dazu nicht sagen. Die meisten von uns hatten noch nie einen Dschungel gesehen, geschweige denn Chinesen oder Japaner … das Gefühl, den Krieg zu verlieren … Ich war achtzehn, als ich eingeliefert wurde.«
»Mein Gott, ich kann Japaner nicht ausstehen«, stöhnte Pugmire, und die anderen nickten.
»Das ist eigentlich nicht fair«, hielt Peter Marlowe ihm entgegen. »Sie spielten das Spiel nach ihren Regeln, und von ihrem Standpunkt aus gesehen war es ein faires Spiel. Sie waren wunderbare Soldaten und ließen sich fast nie gefangennehmen. Nach ihren Begriffen waren wir entehrt, weil wir uns gefangennehmen ließen. Und ich fühlte mich entehrt, fühle mich immer noch entehrt.«
»Das sollten Sie nicht, Marlowe«, sagte Gornt. »Sie haben keinen Grund, sich zu schämen.«
Casey, die neben Gornt stand, legte leicht ihre Hand auf seinen Arm. »Er hat recht, Peter. Wirklich.«
»Keine Frage«, sagte Dunstan Barre. »Aber dieser Grey, was zum Teufel hat Grey so in Rage gebracht?«
»Alles und nichts. Es artete bei ihm zu einer Manie aus, den – japanischen – Lagervorschriften Geltung zu verschaffen. Wie ich schon sagte: Changi war anders. Offiziere und Mannschaft waren zusammengesperrt, es gab keine Post von zu Hause, nichts zu essen, zweitausend Meilen vom Feind besetztes Gebiet in jeder Richtung, Malaria, Dysenterie … die Sterblichkeitsziffer war enorm hoch. Er haßte meinen amerikanischen Freund, diesen King. Zugegeben, der King war ein gerissener Geschäftsmann, und er aß gut, wenn die anderen nichts zu fressen hatten. Aber er erhielt viele von uns am Leben. Sogar Grey. Greys Haß erhielt ihn am Leben, dessen bin ich sicher. Der King fütterte praktisch das ganze amerikanische Kontingent durch – das waren etwa dreißig Leute. Natürlich mußten sie dafür arbeiten, hart arbeiten, aber ohne ihn wären sie krepiert. Ich wäre krepiert, das weiß ich.« Peter Marlowe fröstelte. »Joss. Karma. Wenn ich jetzt den Brandy haben könnte?«
Gornt goß ihm ein. »Was ist aus diesem Mann geworden, diesem King? Nach dem Krieg?«
Pugmire unterbrach mit einem Lachen. »Einer der Burschen in unserem Lager, auch ein Händler, wurde nach dem Krieg Millionär. Und Ihr King?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Peter Marlowe.
»Haben Sie ihn nie wiedergesehen?« Casey war erstaunt.
»Nein. Ich habe versucht, ihn zu finden, aber ohne Erfolg.«
»Das ist nicht ungewöhnlich, Casey«, bemerkte Gornt. »Wenn man ein Regiment verläßt, sind Schulden und Freundschaften vergessen.« Er war sehr zufrieden. Alles läuft prima, sagte er sich und dachte an das Doppelbett in seiner Kabine. Er lächelte ihr zu. Sie erwiderte sein Lächeln.
Riko Anjin Gresserhoff betrat die Halle des V and A. Während sie auf den Aufzug zuging, durchrieselte sie ein kalter Schauder. Die Augen störten sie – nicht die lüsternen Augen der Europäer und nicht die Feindseligkeit in den Augen ihrer Frauen. Es waren die chinesischen und eurasischen Augen. Noch nie war ihr ein solcher Haß entgegengeschlagen. Mit Ausnahme von Ausflügen mit ihrer Schulklasse nach Deutschland und zwei Reisen nach Rom mit ihrer Mutter hatte sie die Schweiz nie verlassen. Ihr Mann hatte sie nur einmal auf eine Woche nach Wien mitgenommen.
Ich mag Asien nicht, dachte sie. Aber es ist ja nicht Asien, nur Hongkong, die Menschen hier. Und ist ihr Antagonismus nicht verständlich? Ob mir Japan gefallen wird? Werde ich selbst dort eine Fremde sein?
Der Aufzug kam und brachte sie in ihre Suite im sechsten Stock. Der Hausboy versäumte es, die Tür für sie aufzuschließen. Allein, die Tür verriegelt, atmete sie auf.
Rasch nahm sie Schuhe, Handschuhe und Mantel ab. Die Suite war klein, aber geschmackvoll eingerichtet und bestand aus Wohnzimmer, Schlafzimmer und Bad.
Auf dem Tisch standen Blumen von Struan’s und eine Schale mit Obst vom Hotel.
Sie öffnete das Päckchen. Darin befand sich ein rechteckiges schwarzes Etui, und sie öffnete es. Wärme durchflutete sie. Der Anhänger, an einer dünnen Goldkette, jadegrün mit hellerem Grün gesprenkelt, hatte die Form eines Füllhorns. Gleich legte sie ihn an, betrachtete sich im Spiegel und bewunderte den Stein, wie er an ihrer Brust lag. Noch nie hatte ihr jemand Jade geschenkt.
Unter dem Etui lag der Umschlag. Es war ein gewöhnlicher Umschlag ohne Firmenaufdruck, und gewöhnlich war auch das Siegel aus rotem Siegellack. Sehr behutsam schob sie einen Brieföffner darunter und studierte
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